Die eigentliche Gefahr beim Fliegen

Autorin: Kathrin
15.09.2014

Fliegen ist so sicher wie nie. Während es zu Zeiten von Amelia Earhart und Elli Beinhorn noch ein wahrhaftiges Abenteuer war, in eine fliegende Kiste zu steigen, so reisen wir heute in top modernen, top gewarteten Jets und überlassen es sorglos der Cockpit- und Kabinencrew, uns gesund von A nach B zu bringen. Die eigentliche Gefahr für die Gesundheit der weltweiten „Globetrotters“ liegt schon lange nicht mehr bei der Wahl des Fluggeräts, sondern in der dadurch verursachten globalen Zusammenführung sämtlicher Krankheiten dieses Planeten.

Selbst wenn man sich nicht persönlich in gefährdeten Gebieten aufhält, so ein Flugzeug befördert nicht nur lästige kleine Krankheitsüberträger von Ost nach West und umgekehrt. Auf Grund seiner Enge, den kaum zu vermeidenden nahen Kontakt zu seinen Mitreisenden und des dürftigen Angebotes an Waschräumen an Bord ist so ein Flugzeug durchaus als Multiplikator der abenteuerlichsten Krankheiten anzusehen. SARS, MERS, Ruhr, Malaria, Gelb- , Dengue- und Chikungunya-Fieber – was sich abenteuerlich liest und im heimeligen Deutschland ganz weit weg zu sein scheint, rückt durch den weltweiten Massentourismus der letzten Jahrzehnte immer weiter in die Nähe des beschaulichen Heimes.

Zumeist sind kleine Mücken Übeltäter und Verbreiter solcher schillernder Infektionskrankheiten und man tut gut daran, wenn sich Tage, Wochen oder sogar Monate später zuhause plötzliches Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Gliederschmerzen, starker Durchfall, Muskel – oder Gelenkschmerzen einstellen, sich daran zu erinnern, wo man denn genau gewesen ist und dann alsbald einen Fachmann aufzusuchen. Ein Hausarzt wird keines dieser Symptome sofort als lebensbedrohlich einstufen, das können sie bei manchen Krankheiten aber durchaus sein! Wir Flieger wissen um die Problematik, es gibt kaum eine Tropenkrankheit, die noch nicht als fragwürdiges Souvenir am Leib einer Kollegin oder eines Kollegen in die Heimat mitgereist ist. Gegen manches kann man sich impfen lassen oder Prophylaxe betreiben – gegen die meisten Infektionskrankheiten ist man leider machtlos.

Aber nicht nur fiese Mücken können den Spaß am Fliegen trüben. Ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt mitten über dem Teich sind ein akutes Lebensrisiko, welches durch den Massentourismus in der letzten Zeit immer häufiger an Bord auftritt.

Mal kurz 112 anrufen geht leider nicht. Geht schon, über eine Notrufnummer im Satellitentelefon stehen 24 Stunden am Tag Mediziner in Deutschland zur Verfügung, die, sollte sich kein Arzt an Bord befinden, oder sich dieser nicht zu einer Entscheidung durchringen können, uns mit Rat und Tat zur Seite stehen. Aber leider sind diese sehr weit weg und handeln müssen wir – die Kabinencrew. Mal Hand aufs Herz: Wann war denn Dein letzter 1.Hilfe Kurs? Weißt Du noch wie es geht? Erst beatmen und dann Herzdruckmassage oder war das doch andersherum? Zehn Mal? Zwanzig Mal? Du solltest nicht zulange überlegen, pro Minute, die Du haderst, sinkt die Überlebenschance des bewusstlosen Patienten um zehn Prozent. Zum Glück gibt Defibrillatoren. Diese Lebensretter sind nicht nur fest etabliert auf den Intensivstationen und in den Operationssälen der Krankenhäuser sowie in den Rettungswagen. Mittlerweile sind sie auch für Normalsterbliche erschwinglich, (ab 670 € aufwärts und jüngst sogar bei einem großen Diskounter im Wochenangebot), und in der mobilen Version sind sie in vielen öffentlichen Gebäuden, Flughäfen und Bahnhöfen installiert Das Gleiche gilt für unsere gesamte Flotte – jede Maschine hat einen eigenen „Defi“ an Bord. Sie alle sind für Laienhelfer konzipiert und damit selbsterklärend. Diese Zauberkisten sind kaum größer als ein Schuhkarton und können nicht nur Elektroschocks bei Kammerflimmern abgeben, sondern mit einem prüfenden EKG auch die Entscheidung unterstützen, wie mit dem Patienten weiter zu verfahren ist. Man muss nur den Mumm haben, das Ding von der Wand zu nehmen und sofort einzusetzen.

Die Überlebenschance bei einer erfolgreichen Wiederbelebung in Deutschland beträgt traurige 10 %. Das ist leider sehr wenig, veranschaulicht aber, wie wichtig schnelles und beherztes Handeln ist. An Bord beträgt die Überlebenschance bei einer Wiederbelebung trotz der widrigen Umstände immerhin 30 – 40 %. Das ist auch noch nicht viel, aber es verdeutlicht, wie wichtig schnelles Eingreifen ist. Ich möchte behaupten, dass sich Flugbegleiter die Frage gar nicht stellen: Möchte ich da helfen, oder rufe ich lieber den Notdienst an? Wir werden darauf gedrillt, in einem Notfall sofort zu handeln, dabei ist es egal, ob der Ofen qualmt, das Triebwerk brennt oder der Gast auf 20 C weder atmet noch Puls hat. Sicher wird dann sofort ein Arzt ausgerufen, weil auch wir nur medizinische Laienhelfer sind, (obwohl wir etliche Krankenschwestern und –pfleger zu unseren Kollegen zählen). Und sicher ist das Bedienen eines Defibrillators für einen Zahnarzt nicht das Tagesgeschäft, genauso wenig, wie ein Veterinär einem Menschen normalerweise einen Zugang legt. In der Not heiligt der Zweck im Flugzeug aber die Mittel. Wir haben die beste medizinische Ausrüstung an Bord, die man sich in 10 000 Metern wünschen kann, aber ich bin keine ausgebildete OP Schwester. Wir können nur mit den Mitteln handeln, die uns zur Verfügung stehen und oftmals ist couragiertes Handeln unser höchstes Gut.

Und deshalb freue ich mich immer über angebotene Hilfe, sei es die Krankenschwester, der Gynäkologe oder der Rettungsassistent. In der Notsituation nehme ich dankbar alles, was ich an Hilfe bekommen kann, und das nicht nur, weil es in Deutschland das Gesetz der unterlassenen Hilfeleistung gilt. Dieses droht mit empfindlichen Geldstrafen und bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe. Da bin ich doch spontan froh, dass ich nicht in den Vereinigten Staaten lebe, wo mich das Opfer dann nach geleisteter Ersthilfe verklagen kann, falls ich ihm bei der Herzdruckmassage nebenbei aus Versehen ein paar Rippen gebrochen habe.

Und ganz ehrlich – ich freue mich auch über jeden empathischen Mitreisenden. Über Menschen, die während einer Reanimation nicht mal kurz nach einer Cola klingeln oder sich bei einer medizinischen Notlandung beim Personal beschweren, dass sie nun ihren Anschlussflug verpassen werden. Wir hätten das Gleiche nämlich auch für sie getan.

Ich wünsche Euch allzeit gesunde Flüge und natürlich „happy landings!“