Dienstzeiten

Autorin: Kathrin
06.10.2014

Die Fliegerei ist kein Job „from nine to five“. Aber wann genau beginnt eigentlich der Dienst des Flugpersonals?

Gerade in Puerto Plata gelandet, spielt sich die gleiche Szene ab, wie nach unzähligen anderen Flügen zu Warmwasserzielen auch: Knapp 300 fröhliche Passagiere werden von den Flugbegleitern in den wohlverdienten Urlaub verabschiedet. „Auf Wiedersehen, Tschüss, schönen Aufenthalt!“ – man wechselt immer wieder mal die Worte, weil spätestens nach dem 150. Gast die Gesichtsmuskeln verkrampfen würden – „Gute Zeit, Ade, viel Spaß, schönen Urlaub!“

Die meisten Gäste nicken, lächeln, grüßen zurück, bedanken sich für den netten Flug und so manchem rutscht ein „Danke, gleichfalls“ raus, Macht der Gewohnheit.
Oftmals kommt dann ein peinlich berührtes: „Oh, Sie haben ja gar keinen Urlaub“ hinterher.

Darüber kann ich schmunzeln, denn ob mein „Kurzurlaub“ oder wie wir sagen „dienstlicher Strandaufenthalt“ 24 Stunden, drei Tage oder eine ganze Woche dauert, kann der Passagier ja nicht wissen – das ist mal so, mal so, je nach Destination und Frequenz.

Unsympathisch hingegen finde ich die Frage: „Fliegen Sie jetzt gleich wieder zurück?“, die auf jedem Flug mindestens einmal gestellt wird. Ich bin nämlich bei der Landung nach einer Langstrecke seit mindestens 16 Stunden auf den Beinen, mein Wecker klingelt in der Regel zeitig, da ich einen weiten Anfahrtsweg habe und ich alle Eventualitäten wie Stau, geplatzter Reifen, Unfall, plötzlich erkranktes Kind, Laufmasche oder sonstige Unfälle mit einplanen muss.

Check in für eine Langstrecke ist 75 Minuten vor Abflug, vorher muss ich noch mit meinem kompletten Gepäck am Zoll und an der Securitykontrolle vorbei. Vor dem Briefing, der Vorflugbesprechung, welches ich als Purser zu leiten habe, checke ich noch am Computer ein und sammele die erforderlichen Papiere (Abrechnungsunterlagen, Hotelliste, Sitzpläne, Übergabeformulare etc.) für die Reise zusammen. Jetzt wäre der letzte Zeitpunkt für eine umfassende Flugvorbereitung über das Ziel im Firmeneigenen Intranet über Einreisebestimmungen, das Servicekonzept, die zu erwartende Beladung nebst Stauplänen und aktuelle Neuigkeiten, aber aus Zeitgründen erledigt man dies in der Regel schon am Vorabend zuhause.

Pünktlich beginnt das Briefing mit den Kolleginnen und Kollegen der Kabine, wer fünf Minuten zu spät kommt und sich nicht meldet, hat leider Pech: für ihn wird jemand aus der Bereitschaft aktiviert. Besprochen werden alle Flugrelevanten Themen: Sicherheitsbestimmungen, Notfallmaßnahmen, Passagierbetreuung, Erste Hilfe und der Service. Später kommen dann die Kollegen vom Cockpit dazu und berichten über die Flugzeit, das Streckenwetter und etwaige Besonderheiten.

Eine Stunde vor Abflug fahren wir zu unserem Flugzeug, stellen unser großes Gepäck vor den Crewfrachtraum am Heck und beginnen an Bord mit den Vorflugarbeiten. Die komplette Notausrüstung wird Sektionsweise auf Vollständigkeit und Funktionstüchtigkeit kontrolliert, die Beladung wird gezählt, im Security Check fahnden wir nach versteckten, ominösen oder gefährlichen Gegenständen an Bord, Zeitungen werden ausgelegt, Waschräume werden ausgerüstet und die Küchen werden für den ersten Service vorbereitet. Ist der Frischwassertank voll? Der Abwassertank leer? Sind Kabine und Waschräume sauber und ordentlich? Funktioniert die Entertainmentanlage, das Interphone? Wenn alles in Ordnung ist und alle erforderlichen Dokumente wie Einreisekarten, Passagierliste, Abfertigungspapiere des Flugzeuges und der Crew an Bord sind, bekommt das Cockpit seinen ersten Kaffee und der Rampagent das Okay zum Boarden. Planmäßig beginnt dies 40 Minuten vor Abflug.

Im Idealfall reicht die Zeit, damit jeder der 300 Passagiere seinen Platz findet und das Handgepäck verstaut bekommt. Erste Decken und Kissen, Kinderspielzeug und Kopfschmerztabletten werden verteilt. Vielleicht wartet man hier und da auf verspätete Gäste von Zubringerflügen oder auf ein wichtiges Papier vom Bodenpersonal. Oberste Priorität ist im vorgegebenen Startfenster loszurollen, sollte dieses platzen, kann es zu unangenehmer und länger andauernder Verspätung führen.

Die eigentliche Flugzeit ist also nicht unsere Dienstzeit, sie beginnt schon lange davor. Eine Reise nach Florida dauert etwa 10, nach Los Angeles um die 12 und nach Mauritius sogar 13 Stunden. Die Dienstzeiten für Cockpit- und Kabinenpersonal sind streng geregelt, 14 Stunden sind das Maximum. Durch einen sogenannten Kapitänsentscheid in wichtigen Ausnahmefällen kann sie auf 15 Stunden erhöht werden.

Die Fliegerei lebt von der Pünktlichkeit, die durch viele, manchmal schwer zu beeinflussende Variablen (Wetter, Streik, verirrter Passagier, verlorenes Gepäck, Krankheitsfall an Bord, technischer Defekt etc.) oft an ihre Grenzen getrieben wird.

An die Dienstzeitgrenze müssen wir uns halten, sie wird von der European Aviation Safety Agency (EASA) festgelegt und ein Verstoß erfordert eine Selbstanzeige beim Luftfahrtbundesamt (LBA). So ärgerlich dies auch manchmal ist, manche Flüge scheitern tatsächlich auf Grund der zu beachtenden Dienstzeiten der Besatzung, so zum Beispiel vor ein paar Jahren ein Flug von New York nach Deutschland, weil eine überdimensionale Rush hour und ein Gewitter über dem Flugplatz uns vier Stunden (!) Wartezeit auf dem Taxiway beschert hatten. Das hat nicht nur die Geduld der Gäste und der Besatzung überstrapaziert, sondern auch Unmengen an Kerosin gekostet. Dann noch einen Flug über den Atlantik anzutreten, mit der Option, in Irland nachtanken zu müssen, war leider auf Grund der Dienstzeitbeschränkung nicht mehr möglich.

Aber auch ohne diese ganzen Ausnahmen und Sonderfälle: Nach einer Langstrecke habe ich 12-14 Stunden Dienst auf der Uhr und mit dem Anlegen der Bremsklötze ist meine Arbeit in den seltensten Fällen sofort zu Ende. Bis ich endlich unter eine Dusche komme, können je nach Abfertigung des Flughafens, der Lage des Hotels und der hiesigen Infrastruktur noch ein, zwei Stunden ins Land gehen.

Die Ruhemöglichkeiten für Besatzung an Bord während des Fluges sind übrigens von Airline zu Airline unterschiedlich, vom Crewcontainer mit richtigen Betten im Unterdeck bis zur „Blauen Lagune“, ein angeknöpfter, blauer Vorhang vor einem regulären Passagiersitz, dessen Rückenlehne sich noch nicht mal verstellen lässt, ist alles möglich. Insofern bin ich froh, wenn ich die Frage: „Fliegen Sie jetzt gleich wieder zurück?“ mit einem gelassenen „Nein, heute nicht mehr“ beantworten kann.

Ich liebe das Fliegen wirklich, aber nicht über seine Grenzen hinaus.

2 Kommentare zu “Dienstzeiten”

  1. Jack schrieb:

    Hallo Kathrin,
    Ich wollte dir einfach mal so schrieben. Und einfach danke sagen. Ich habe jetzt fast alles Einträge gelesen und das war für mich eine große Hilfe. Habe mich bei LH geworben und hat alles geklappt mein AC und in Dezember geht das Training los.

    Freue mich auf weiter Einträge!

    Liebe Grüße
    Jack

  2. Kathrin schrieb:

    Hallo Jack,

    vielen Dank für Deine netten Zeilen.
    Dann herzlich willkommen in der verrückten Familie der Flieger und „always happy landings!“

    Liebe Grüße,
    Kathrin