Early bird

Autorin: Kathrin
20.05.2014

Fast hätte ich ihn übersehen, den kleinen Flug nach Ibiza, der sich so unverhofft aus der Revision in meinen Dienstplan geschlichen hat. Wir bekommen zwar am Ende jeden Monats einen Dienstplan für den kompletten Folgemonat, doch dieser hat das Verfallsdatum von genau sieben Tagen – revidiert wird jeden Donnerstag, dass heißt die kommende Woche von Montag bis Sonntag kann sich schon einmal ganz anders darstellen, als ursprünglich geplant. Kann, muss nicht. Da fällt vielleicht mal ein Flug raus, verschiebt sich eine Destination oder eine Check In Zeit, oder – wie in meinem Fall letzten Samstag – mogelt sich ein Flug noch in die freien Tage hinein. Wohl dem, der seine Revision jedes Mal aufmerksam studiert. Es könnte sonst peinlich werden, wenn der Crewkontakt morgens um 4.45 Uhr anruft und ungehalten fragt: „Miss Jetstream, wo bleiben Sie denn?“, während man sich selbst noch Schäfchen zählender Weise im vermeintlich freien Wochenendmodus befindet.

Ich hatte Glück und den kleinen Ibiza gerade noch rechtzeitig entdeckt – und am Freitagabend den Wecker seufzend auf 2.30 Uhr gestellt. Da meine normal „Bettgehzeit“ nie vor Mitternacht ist, fallen mir solche Flüge immer schwer. Voller guter Vorsätze gehe ich jedes Mal früh zu Bett, damit ich ausgeruht zum Dienst erscheinen kann, doch egal was ich anstelle – warme Milch trinken, langweiliges Buch lesen, Dokumentation über das Liebesleben der Rheinkieselsteine schauen, Qi Gong, Entspannungstechniken nach welcher Art auch immer, schöne Gedanken machen – selten klappt es mit dem Einschlafen vor der einprogrammierten Zeit im Hirn. Da helfen weder Melatonin-Gummibärchen aus den USA, noch ein gutgemeinter Schlummertrunk – dieser würde einen höchstens noch zerknitterter aussehen lassen.

Ich wachte um 1.12 h auf und dachte zuerst: „Oh, gut, du musst heute keine Brötchen für die Kinder schmieren, heute ist Samstag und keine Schule.“ Als ich mich gemütlich umdrehte, meldete sich ein kleines Teufelchen auf meiner Schulter und piekte mich energisch mit seinem Dreizack: „Schade, Jenny, du hast noch 1 Stunde und 18 Minuten bis der Wecker klingelt, weil du dann arbeiten musst. Einmal kurz nach Ibiza, hast du das etwa schon vergessen? Überleg dir, ob du jetzt zur Toilette gehst oder dich noch ein bisschen hin und her wälzt. Mit Schlafen ist jetzt sowieso nichts mehr…“

Wie gemein!

Abgesehen von dieser unchristlichen Weckzeit war der Flug klasse und lief wie geschmiert: wie waren eine erfahrene Crew, hatten einen großen Flieger, einen A330, der entspanntes Arbeiten versprach, 309 Fluggäste, eine flotte Flugzeit von 2 Stunden und 10 Minuten und die französischen Fluglotsen haben nicht, wie mehrfach angedroht, gestreikt. Alles lief nach Plan.

Nach dem Frühstücksservice begannen wir mit dem Bordverkauf. Magdalena rief in der mittleren Küche an:
„Kann mal bitte jemand zwei Bier und zwei Snickers bringen, wir kommen hier gerade nicht vom Wagen weg.“
Da Sabine gerade frühstückte und Melanie noch den Müll absammelte, schnappte ich mir sowohl Getränke als auch Süßigkeiten und ging nach hinten. Kurz bevor ich den Verkaufswagen der Mädchen erreichte, winkten mir zwei Herren um die Fünfzig in Reihe 29 freundlich grinsend: „Hier, junge Frau, das ist für uns.“
„Na, das ist ja genau das Richtige morgens um 8 Uhr für zwei gestandene Männer – Bier und Schokolade.“ Ich konnte mir den Spruch nicht verkneifen, aber zwinkerte den beiden fröhlich zu.
„Stimmt genau“, erwiderte der Herr auf dem Gangplatz und grinste zurück, „vor allem, wenn es so charmant serviert wird!“ Alter Schmeichler.
Im Vergleich zu den anderen, zumeist müden Gästen – kein Wunder bei der Uhrzeit! – war es angenehm, ein bisschen Smalltalk zumachen.
„Mit Ihnen bin ich doch schon mal geflogen?! Wie war doch noch Ihr Name?“
Er las ihn an meinem Namensschild ab. „Ich glaube, das war vor drei Jahren, nach Palma.“
„Oh“, erwiderte ich. „Ich fliege zwar hauptsächlich Langstrecke, aber das kann gut sein. Bitte sehen Sie es mir nach, dass ich mir alle Gäste aus den letzten drei Jahren nicht merken konnte …“
„Nein, um Gottes Willen, gar kein Problem. Aber der Name kam mir gleich so bekannt vor.“
„Es gibt aber auch einen Kapitän mit diesem Nachnamen, vielleicht sind Sie mit dem damals geflogen?“
„Ja, möglich wär das …“
„Nee, Schorsch, das war die junge Frau, das weiß ich sicher …“
Wir flachsten noch ein bisschen herum. Ich hatte Zeit und die Jungs Lust zum Klönen. Über das Fliegen im allgemeinen, den A 380, dieses Wunderschiff, wie lange man als Besatzung im Ausland eigentlich Aufenthalt hat, bis zu welchem Alter Stewardessen fliegen dürfen, bevor sie in Rente gehen, wo ich noch nie war, und wo ich noch einmal hin möchte. Und dann kam die Frage des Tages:
„Sagen Sie mal, Miss Jetstream, warum geht es in Ihrer Airline eigentlich so turbulent zu? Die Flieger sind klasse, der Service ist toll – aber was man in der Zeitung liest, ist ja wirklich beängstigend…“

Lieber Gast auf 29 D, was soll ich dazu sagen? Wenn ich die Antwort wüsste, würde ich eine Schlaumeierkarte einwerfen und den großen Preis für 2014 damit gewinnen. Oder ich würde das Ruder in die Hand nehmen und das Schiff in ruhige Gewässer steuern. Natürlich ist so etwas keine adäquate Antwort für einen Gast. Ich fühlte mich kurz an frühere Krisen erinnert, als uns Passagiere den Annoncenteil der Jobbörse aus der Zeitung herausrupften und mit den Worten: „Das werden Sie ja wohl bald brauchen!“ zurück auf den Trolley warfen. Ich bin seit 25 Jahren im Unternehmen und habe etliche Geschäftsführer kommen und gehen sehen. Was stets zurückblieb, war die Fassungslosigkeit. Ein Augenzwinkern lang – zumindest an Bord. Und dann heißt es wieder sofort „Face in flight – the show must go on.“
Ich lächelte den Gast an und sagte:
„Tut mir leid, da kann ich Ihnen nichts zu sagen. Ich bin aber sicher, das es bald wieder aufwärts geht.“

Ich habe keine Ahnung, was die Zukunft bringen wird. Die letzten Jahre waren wirklich sehr turbulent, aber eigentlich pflastern Wolkenberge meine gesamte Laufbahn am Himmel. Trotzdem liebe ich meinen Job. Ich habe gelernt, zu lächeln, Freundlichkeit und Kompetenz auszustrahlen, dem Gast das Gefühl zu geben, bei uns an Bord zuhause zu sein – egal welcher Name auf dem Leitwerk steht Sicher geht das noch vielen anderen Kolleginnen und Kollegen so, die unverhofft ein Teil von unserer Firma geworden sind. Und genau das ist das Thema. Unsere Firma. Es ist wichtig, sich mit seinem Brötchengeber identifizieren zu können. Gerade in der Dienstleistung – (und da zähle ich unsere Piloten ebenfalls dazu, auch wenn sie es vielleicht nicht gerne hören möchten), brauche ich etwas, an das ich glauben kann. Etwas, in dem ich mich selbst wiederfinde, mit dessen Leitsätzen ich mich identifizieren kann, um die Ruhe und die Contenance ausstrahlen zu können, die ich für meinen täglichen Job brauche. Ich gebe zu, es ist mir am Anfang schwergefallen. Ein Mensch ist ein Gewohnheitstier. Aber er hört auch nicht auf zu lernen. Und man hat als Mensch auch noch eine unbezahlbare Eigenschaft – die Hoffnung nie aufzugeben.

Ich habe die Hoffnung für meine Firma jedenfalls nicht aufgeben, allen Unkenrufen und schwarzen Prophezeiungen zum Trotz. Im Gegenteil, ich glaube an eine große Zukunft am deutschen Fliegerhimmel, weil wir eigentlich nur noch jemanden brauchen, der uns in die richtige Richtung schubst. Und den wird man finden, auch wenn es sich manchen Ohren vielleicht absurd anhört. Aber Bier und Snickers morgens um 8 Uhr sind auch nicht jedermanns Sache. 😉

1 Kommentar zu “Early bird”

  1. Astrid schrieb:

    Toller Beitrag, Kathrin!

    Endlich hat jemand Courage und stellt sich für seine Firma hin. Ich stelle mir die Frage von Gast 29D auch laufend, wenn ich die Luftnachrichten lese. Eine Airline, wo man sich rundum sicher und wohl fühlt, wäre schade wenn die vom Fliegerhimmel verschwinden würden.

    Bekanntlich stirbt die Hoffnung zu Letzt und das nicht nur, weil wir uns rund um wohl fühlen bei deiner Firma, sondern weil mein Sohn (8J.) Pilot
    werden will bei der Airline seines Vertrauens also klammheimlich verabschieden gilt nicht.