Ein Jahr Fliegen

Autorin: Kathrin
20.03.2013

Genau heute vor 23 Jahren hatte ich meinen ersten „eigenverantwortlichen Flug.“ Damals begleitete ich 358 Urlauber, die dem deutschen Schmuddelwetter entfliehen wollten, ins warme Tunesien. Ich war so aufgeregt, dass ich erst auf der Rückreise meine Boarding-Highheels gegen bequeme Galleyschuhe tauschte, bei dem Gedanken daran tun mir noch heute die Füße weh! Geplant hatte ich nur ein Jahr in der Fliegerei, ein kurzer Zwischenstopp vor dem Studium in den USA.

Aber nicht alles im Leben ist planbar und ich habe den Suchtfaktor der Fliegerei völlig unterschätzt. Mit jedem Flug rückte das Studium in weitere Ferne, ich brauchte nicht mehr zu studieren, ich hatte meine Berufung gefunden. Gastgeber an Bord eines Flugzeuges zu sein, sich nebenbei die Welt anzusehen, neue Menschen, Länder, Sitten und Gebräuche kennenzulernen und dabei auch noch gut entlohnt zu werden – was sollte ich denn da noch mit einem Studium? Ich studierte lieber die Leute an Bord, die täglich wechselnden Crews, die Passagiere und die neuen Offenbarungen, mit denen die Fremde lockte.

In 23 Jahren habe ich geschätzte 6.000.000 nautische Meilen per Flugzeug zurückgelegt, 15.000 Liter Tomatensaft ausgeschenkt, 30 Paar Uniformschuhe verschlissen und 7 Koffer gebraucht. Ich habe an Bord schon fast alles erlebt: diverse Startabbrüche, schwerste Turbulenzen, verfehlte Anflüge, ungezählte medizinische Notlandungen wegen Herzinfarkt, geplatzte Cockpitscheiben, einen Brand an Bord und eine vorbereiteten Notlandung. Auch das zwischenmenschliche Programm war bunt: randalierende Studenten, ein ausflippender Bundestagsabgeordneter, ein deutscher „Indianer“ im Lendenschurz, der beim Boarden das Kriegsbeil ausgrub und spontan die Hose des Kapitäns erbeuten wollte, sowie diverse „B-Promis“, die meinten, mit dem Ticket das Personal gleich mitgekauft zu haben. Ach, wer von uns könnte nicht stundenlang erzählen, von dem ganz großen Theater an Bord?

Nach dem vierten Kind hatte ich 2000 eigentlich den Koffer eingemottet und die Fliegerei an den berühmten „Nagel“ gehängt, doch auch hier hat sich der Weg in meinem Leben als ein anderer herausgestellt, als geplant. Und heute bin ich froh darum – inzwischen reise ich als Purser in meinem Universum Flugzeug ganz bequem in Teilzeit um den Globus und ich möchte nicht einen Tag davon missen! Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, um einmal Danke zu sagen. Bei allen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich die letzten Jahrzehnte durch die Gegend gedüst bin, die mit mir zusammen allen Widrigkeiten trotzten und mit viel Elan, Enthusiasmus und Empathie ihren Job gemacht haben. Mein Dank gilt auch allen Kolleginnen und Kollegen, ohne deren Arbeit kein Flieger je den Boden verlassen würde – den Rampagenten, den Technikern, den Ladern, dem Bodenpersonal, den Tankerfahrern, den Enteisungsmenschen und natürlich auch allen guten Geistern im Büro, die im Hintergrund die Strippen ziehen. Ein Team ist immer nur so gut wie das schwächste Glied! Mein Dank gilt auch allen Rollstuhlfahrern an Bord, die im Flugzeug ständig vor scheinbar unbezwingbare Hindernisse stoßen, sich selten bis nie aus der Ruhe bringen lassen und mit ihrer positiven Ausstrahlung trotz ihres Handicaps uns Nichtbehinderten zeigen, wo der Hase lang läuft. Danke an alle Passagiere, die unserer Arbeit an Bord zu schätzen wissen, sich ehrlich freuen, wenn man noch ein Extrakissen gefunden hat, bei Turbulenzen gut zuredet oder aus dem Nichts ein Nähset für den abgerissenen Knopf zaubert. Danke auch an all die Nörgler, Besserwisser, Schlechte-Laune -Verbreiter und „Sie-hören-von- meinem-Anwalt!“- Menschen: Sie machen mein Leben bunter und aufregender, als es je ein Bürojob könnte.

Inzwischen bin ich schön klischeehaft mit einem Flugkapitän verheiratet – der versteht wenigstens, was Jetlag für eine Krankheit ist – und wohne fast am Ärmel der Welt; nicht ganz, aber man kann ihn von dort aus sehen ;). Auf dem Land genieße ich meine Flugfreie Zeit. Nach all den Jahren Fliegerei habe ich herausgefunden, dass der schönste Platz auf der Welt sowieso zuhause ist. Dennoch, nach spätestens 14 Tagen Abstinenz vom „Duft der weiten Welt“ sticht mich der Hafer, schaue ich jedem Kondensstreifen am Himmel sehnsüchtig hinterher und frage mich, wohin die Reise wohl geht?

Wo muss ich eigentlich als nächstes hin? Schnell mal den Dienstplan checken … 😉

Ich freue mich auf die nächsten Jahre in unserem Universum Flugzeug …
Happy landings to all of you!