Flugangst

Autorin: Kathrin
31.03.2014

Knapp 80% aller Gäste kämpfen mit latentem bis massiven Unwohlsein an Bord, hervorgerufen durch Flugangst. Den einen oder anderen beeinträchtigt es sogar so weit, dass er gar nicht fliegt oder nur, wenn es sich absolut nicht vermeiden lässt. Andere versuchen ihre Flugangst in den Griff zu bekommen und stellen sich der Herausforderung. Flugpersonal ist natürlich flugangstfrei, das versteht sich ja wohl von selbst.

Tut es das wirklich? Die schlimmsten Turbulenzen meines Lebens erlebte ich auf einem Flug von Rio de Janeiro nach Frankfurt. Mein Flieger war der letzte, der bei dem Sturm überhaupt noch starten durfte und direkt nach dem Take-off ging es in der Maschine rund: Das Flugzeug wurde vom Wind hin- und hergerissen, es sackte durch, fing sich wieder, rollte seitwärts, schlug unkontrolliert nach oben und unten, stampfte endlos weiter knarrend und ächzend durch die Wolkenberge – so fühlte es sich jedenfalls an. Die Gepäckfächer brachen allesamt auf, das Handgepäck verteilte sich großzügig in der Kabine, die Passagiere, zumeist Gäste aus Argentinien und Brasilien, schrien wie am Spieß, bekreuzigten sich oder beteten leise. Service gab es auf diesem Flug keinen, wahnsinnig, wer sich freiwillig abgeschnallt hätte. Das ganze Chaos dauerte über geschlagene sieben Stunden, bis wir endlich das europäische Festland erreicht hatten. Auf Grund des erhöhten Kerosinverbrauches landeten wir in Spanien zwischen und der Kapitän wurde in der kurzen Bodenzeit unter Tränen von dankbaren Fluggästen abgeküsst.

Der Albtraum geschah 1988 und ich bin trotzdem Stewardess geworden. Zwanzig Jahre bin ich danach geflogen, furchtlos, immer bemüht, ängstliche Gäste zu unterstützen, zu helfen und zu beruhigen, wo es eben nur ging. Bis mich ein Flug nach Varadero aus der gesettelten Umlaufbahn meines Flugbegleiter-Daseins kickte. Wir gerieten über dem Atlantik in ein schweres Unwetter und mussten wegen überhöhtem Kerosinverbrauch in Freeport auf den Bahamas zwischenlanden. Dort tankten wir nur das nötigste, damit wir möglichst schnell die Reise nach Kuba fortsetzen zu konnten. Was folgte, war der absolute Horrortrip: Unser Vogel, leicht wie eine Feder durch den fehlenden Ballast in den Tanks, wurde schon Sekunden nach dem Start senkrecht hochgerissen wie von einem energischen Toilettenpümpel, um sofort danach wieder rasant durchzusacken. Den Teer der Startbahn hatten wir dabei nur um Haaresbreite verfehlt. Die Maschine schlingerte danach abwechselnd extrem nach Back- und Steuerbord, bäumte sich auf und schlug wieder nach unten durch. Die Passagiere, die kurz zuvor noch zynische Witzchen über die Zwischenlandung gemacht hatten – „wir sammeln mal unser Feuerzeugbenzin für Sie, dann können wir uns die Zwischenlandung sparen“ – saßen totenstill und kreidebleich in ihren Sitzen. In der abgedunkelten Kabine hörten wir nur das zähe Knarzen der Verkleidung, das metallische Scheppern der Trolleys und das leise Klirren des Porzellans. Hier und da sprang ein Gepäckfach auf, begleitet von erschrockenen Rufen und schmerzhaftem Stöhnen.

Unser Flug nach Varadero dauerte nur sechzig Minuten, die sich allerdings wie eine Stunde Wurzelbehandlung beim Zahnarzt anfühlten – endlos! Die Passagiere verließen unseren Flieger ziemlich kleinlaut und überaus dankbar bei 6 Grad Außentemperatur auf Kuba und heftigem Sturm.

Seit dieser Erfahrung ist mein Job nicht mehr derselbe. Flüge über den nächtlichen Atlantik bereiten mir stellenweise Unbehagen und beehren mich mit unerwarteten Schweißausbrüchen. Mein Gatte, selbst Pilot, empfahl mir mitfühlend, den Job an den Nagel zu hängen, eine Stewardess mit Flugangst sei ja wohl untragbar.

Ist es wirklich so? Ich wollte meinen Job nicht aufgeben, nur weil ich Turbulenzen als vierfache Mutter inzwischen anders wahrnehme, als damals, als unerfahrener Teenie mit knapp zwanzig. Ich war nicht bereit (m)eine Berufung aufzugeben, nur wegen ein „bisschen Wind“ an der falschen Stelle. Auf meiner Suche nach dem Sinn meines Flugbegleiterlebens stieß ich im worldwideweb auf Elli Beinhorn. Wer kennt sie nicht, die Koryphäe der Luftfahrt, die erste Frau, die im Alleinflug in einer klapprigen Klemm die Kontinente bezwang, mehrfach abstürzte, tagelang als verschollen galt , ihren Flieger wieder selbst zusammenschraubte und erst sehr viel später, im biblischen Alter, freiwillig ihre Fluglizenz zurückgab? Bei Ebay ersteigerte ich eines ihrer Bücher („Ein Mädchen und fünf Kontinente“), sowie ein Autogramm der Pilotin. Ich wartete gespannt, in freudiger Erwartung, doch es geschah lange nichts.

Wochen später flog das Buch tatsächlich in meinen Briefkasten. Beim Durchblättern rutschte nicht nur die feinsäuberlich ausgeschnittene Anzeige über Ellis 100. Geburtstag heraus, sondern auch noch fünf über die Seiten verteilte gepresste vierblättrige Kleeblätter. Ich mailte die Verkäuferin des Buches an, fragte, ob sie sich der Beigaben bewusst sei und ob sie diese wiederhaben wolle. So nebenbei erzählte ich, dass ich Stewardess sei und mit Ellis Buch meine Flugangst kurieren wollte. Die Dame wusste nichts von den Glücksbringern, hielt es aber für ein gutes Omen und war ganz gerührt. Wenig später erreichte mich auch das Autogramm, es war handschriftlich signiert, „mit besten Wünschen, Ihre Elli Beinhold“.

Ja, ich weiß, in heutigen Zeiten hat Aberglaube einen harten Stand. Ich fliege seitdem mit Ellis Autogramm in meinem Crewkoffer und nach der Lektüre ihres Buches denke ich nachts über dem Atlantik, wenn es mal wieder so richtig rappelt: Diese Frau ist mit so einfachem Fluggerät um den ganzen Globus geflogen, da sollte es für Dich in einem High-tech- Fluggerät ja wohl ein Klacks sein, einmal über den Teich zu schippern. Oder nicht?

Flugangst kann jeden treffen, es ist nur die Frage, wie geht man damit um.

In diesem Sinne wünsche ich Euch
„Always happy landings“!

3 Kommentare zu “Flugangst”

  1. Kerstin schrieb:

    Liebe Kathrin,
    durch Zufall bin ich beim Durchstöbern des world wide webs auf deinen Blog gestoßen.
    Auch ich bin eine der Flugangst gepeinigten dieser Welt.Trotzdem setze ich auf eine Art Konfrontationstherapie und fliege immer wieder.Allerdings mit mäßigem Erfolg was die Bewältigung meiner Angst angeht. Deine Beiträge sind eine toll geschriebene Mischung aus Witz,praktischer Information und Warmherzigkeit. In einer Woche ist es wieder soweit, die nächste „Zähne klappernde“ Langstrecke steht an. Leider mit der „falschen“ Airline, denn ich hätte gerne dich als Flugbegleiterin mit dem Autogramm von Elli Beinhorn in der Kabine gewusst. 🙂
    Übrigens trinke ich Tomatensaft auch gerne auf Normal Null!!!
    Liebe Grüße
    Kerstin

  2. Kathrin schrieb:

    Liebe Kerstin,

    vielen Dank für die nette Post, habe mich sehr darüber gefreut.
    Immerhin lässt Du Dich von Deiner Angst nicht unterkriegen, dass ist doch schon einmal toll!
    Vielleicht hilft Dir ja die Seite meines Mannes weiter: http://www.treffpunkt-flugangst.de
    Dort gibt es neben Flugangstseminaren nämlich auch ein Forum, indem sich Flugängstliche austauschen und von Profis (Piloten, Technikern, Flugbegleitern) beraten werden. Schau doch mal vorbei, vielleicht hilft es Dir ja. Oft liegt die Wurzel der Flugangst ja in der Unwissentheit, was alles so um einen herum passiert und was gefährlich ist und was nicht. Fragen stellen hat noch nie geschadet 😉

    Viele Grüße,
    Kathrin

    PS: Ich bin in dem Forum auch unterwegs, Du wirst mich sicherlich herauslesen 🙂

  3. Kerstin schrieb:

    Liebe Kathrin,
    ich habe mir heute dein Buch “ Tür zu es zieht“ bestellt. Vielleicht auch ein hilfreiches Puzzleteil meines ganz privaten Anti-Fluganst-Kreuzzuges.Ich erhoffe mir, ein bißchen heimisch zu werden, in deinem fliegenden Wohnzimmer und mich auf den Kosmos Flugzeug etwas besser einlassen zu können. Ich wünsche mir für meine Langstrecke auch eine Flugbegleiterin deines Kallibers, die mit der Proffessionalität von über 20Jahren Berufserfahrung meist in sich ruht, die Contenace bewahrt und trotzdem herzlich ist.
    Meine Hochachtung vor dieser Leistung, die ganz gewiss nicht immer einfach ist.
    Ich arbeite ebenfalls mit vielen verschiedenen Menschen, deren Bedürfnisse sehr unterschiedlich sind und leider auch nicht immer ganz adäquat geäußert werden. Erschwerend kommt hinzu,daß ich dies auch im Schichtdienst zu erledigen habe. Allerdings meist ohne Jetleg oder Zeitzonenkater.Als hilfreich hat sich die Zähne-Knirsch-Schiene erwiesen, die mir mein Zahnarzt verordnet hat. Sie schützt die Beisser, tut dem Lächeln aber keinen Abbruch. 🙂
    Liebste Grüße
    Kerstin