Prominenz an Bord

Autorin: Kathrin
06.03.2014

Bevor ich in die Luft ging, arbeitete ich an der Rezeption eines Hamburger Luxushotels, wo Prominenz zum Tagesgeschäft gehörte. Natürlich war es spannend, Menschen, die man aus Presse, Funk und Fernsehen kannte, auch einmal live zu erleben, noch viel spannender war aber manchmal die Liste mit den Extrawünschen zu lesen, die solche Persönlichkeiten ihrem Aufenthalt vorausschickten. Während ein ostfriesischer Spaßbarde in bekannter Manier und wehendem Blondhaar unverkennbar und völlig zwanglos durch die Lobby hüpfte, bevorzugte ein holländischer Showmaster sich lieber mit schnödem „Herr Müller“ anreden zulassen, um sein Inkognito zu wahren, obwohl erwiesener Maßen 97 % der erwachsenen Bundesbürger ihn kannten. Egal, wir taten es gern.
Ein amerikanischer Popstar – Gott hab ihn selig – verlangte Ende der 80er frische Bananenblätter als Unterlage für sein Müsli, eine eigene Tanzfläche im Salon seiner Suite und aß nur, was sein eigens importierter Koch ihm in der hoteleigenen Küche sowohl gezaubert als auch vorgekostet hatte. An dem armlangen Küchenmesser kam absolut niemand vorbei! Zwei Wochen später erschien eine weitere Popgröße – zumindest stimmlich gesehen – aus Übersee und verlangte, dass das Bett der Suite 310 ausgetauscht werden solle, (Stil „Louis quinze“, massive Eiche, Doppelbett), weil unlängst sein Branchenkollege darin genächtigt hatte. Das ging natürlich gar nicht! Auch diesen Wunsch erfüllten wir selbstverständlich, wenn auch mit einigem Kraftaufwand.

Trotzdem ist zu sagen, dass die meisten Prominenten, bis auf wenige Ausnahmen, eine sehr umgängliche Klientel waren und auch wie ganz normale Gäste behandelt werden wollten. Nach einem Autogramm zu fragen oder gar – wie heute mit Handykameras üblich – ein Foto für Facebook zu machen, war natürlich für uns als Personal bei Todesstrafe verboten!

Im Flieger verhält es sich heutzutage ähnlich. Auch hier möchte die Firma nicht, dass wir VIPs oder prominente Passagiere mit Autogrammwünschen belästigen oder gar in persönliche Gespräche verwickeln. Diese ergeben sich trotzdem oft von selbst, sofern es sich nicht um Magermodels handelt, die zwölf Stunden elegant nur eine Flasche Bio-Kokoswasser schlürfen. Die meisten Gäste wünschen Speis und Trank, also kommt man um die Kommunikation mit einem oder gar mehreren Flugbegleitern nicht drum herum. Außerdem ist die Atmosphäre in einem Flugzeug auch irgendwie anders, als in einem bodenständigen Hotel. Sie steht oftmals zu Beginn oder am Ende einer langen Reise, vor oder nach einem entspannten Urlaub, einem neuen Lebensabschnitt oder einem wichtigen Ereignis. Die Bereitschaft zu klönen und sei es auch nur Smalltalk, ist im Flieger viel größer, als quer über einen polierten Marmortresen in einer Luxushotellobby. Und auch hier, in meinem fliegenden Universum, habe ich die Erfahrung gemacht: je prominenter ein Gast ist, desto unauffälliger und unkomplizierter zumeist der Umgang. Nervig sind oft B–Promis oder Menschen, die sich selbst für unglaublich wichtig halten. Aber das ist ein anderes Thema.

In all den Jahren hatte ich schon Vertreter aus so ziemlich alle Branchen der Öffentlichkeit zu Gast an Bord, von Comedians über Politiker, Pop- und Schlager-Sänger, Schauspieler, Showmaster, Journalisten, Musicaldarsteller, Entertainer, Showstars, Sportler und Models. Fast alle waren sie nett, freundlich, unauffällig – ja manche waren sogar so unauffällig, dass wir sie gar nicht auf den ersten Blick erkannt haben.

Einer sprang uns jedoch sofort ins Auge, obwohl er auf meiner Passagierliste weder als als VIP noch überhaupt namentlich angekündigt worden war. Er schlenderte auf dem Flug Düsseldorf – San Franzisco im letzten Sommer ganz gemütlich an Bord und fiel jedem sofort auf. Der beige Hut, die dunklen Haare, die schwarze Hornbrille mit den blaugetönten Gläsern, die lässigen Klamotten, die Boots, die Lederarmbänder – na, klingelt es? Ich stand mit meiner Kollegin beim Boarding an der 2 R Tür im vorderen Teil der Maschine und schaute für den Bruchteil einer Sekunde in die schokoladenbraunen Augen des Gastes und versuchte mir unter meinem Lächeln nichts anmerken zu lassen. Mit einem linkischen Grinsen schob er sich an uns vorbei, den kleinen Ledersack Handgepäck lässig geschultert.

„Oh – mein – Gott!“, hauchte meine Kollegin und sah ihm nach. Mir flüsterte sie zu: „Hatte ich gerade eine Erscheinung, oder ist er es wirklich? Kannst du mich mal kneifen?“
Ich zwickte sie kräftig in die Taille und amüsiert überlegten wir, wie sich denn wohl ausgerechnet dieser Megastar an Bord eines deutschen Linienfliegers verirren konnte und dann auch noch ganz sparsam in der Holzklasse saß! Ein rascher Blick auf seine Bordkarte offenbarte uns im Vorübergehen, dass er noch nicht mal auf einem Fensterplatz saß, sondern auf einem Mittelplatz in der „Bronx“, genau gesagt auf 47 E. Konnte sich „Captain Jack“ bei seinem Budget nicht einen Privatjet leisten, oder wenigstens ein First Class – Ticket ?

Unser Promi nahm ganz unspektakulär seinen Sitzplatz ein, verstaute den Ledersack zu seinen Füßen, zog sich den Hut in die Stirn, verschränkte die Arme vor der Brust und schloss die Augen. Auf meinem Rundgang zum Start schlief er bereits – brav angeschnallt – den Schlaf der Gerechten; offenbar war die Zeit für ihn in Deutschland sehr anstrengend gewesen. Drehte er für einen neuen Film? Hatte er eine Auszeichnung entgegengenommen? Gab es da nicht gerade so eine Preisverleihung in Berlin? Und warum flog er dann ab Düsseldorf? Nun, selbstverständlich würden wir ihn nicht stören. Aber ein bisschen enttäuscht waren wir natürlich schon.

Nach zirka vier Stunden Flugzeit verteilte ich die für die USA notwendigen Zollformulare. Ob „Captain Jack“ wohl immer noch schlafen würde? Unter dem Hut war es von weitem leider nicht sofort auszumachen. Als ich Reihe 47 erreichte, war er tatsächlich wach. Ich suchte die englischsprachige Version des Zollzettels heraus und überreichte sie mit einem Lächeln.
„Here you are, Sir!“
„Ah, vielen Dank, ham Sie vielleicht aach noch so’n Stift für misch?“, fragte er mich mit großen, braunen Kulleraugen durch die bunten Brillengläser in breitestem Sächsisch. Ich langte in meinen Ausschnitt, wo mein Kugelschreiber am Blusenrand parkte und überreichte das Schreibutensil mit einem breiten Grinsen, um mein Erstaunen zu verbergen. Vor mir saß ein amerikanischer Weltstar – offenbar mit ostdeutschem Wurzeln!

Unser Double flog übrigens vier Tage später gemeinsam mit uns wieder zurück nach Düsseldorf, offenbar hatte er nur einen kurzen Einsatz in Kalifornien. Auch auf dem Rückflug war er sehr zurückhaltend und ruhig. Was wieder beweist, dass „Topstars“ ganz pflegeleicht sind, auch als Abziehbild. Vielleicht wollte er aber uns „Normalsterbliche“ auch einfach der Illusion nicht berauben, einmal mit einem AAA- Klasse Promi völlig unabgehoben die dünne Luft im Flieger zu teilen. Ganz ehrlich: Hätte er nicht gesprochen, die Illusion wäre perfekt gewesen!

Es grüßt Euch,
immer noch ohne Autogramm,
Jenny Jetstream