Refresher – Jährliche Schulung für Stewardessen und Piloten

Autorin: Kathrin
02.10.2012

Dass die Ausbildung zur Stewardess im Gegensatz zu dem Erwerb einer Lizenz zum Fliegen – für welches Fluggerät auch immer – in einem Augenzwinkern zu Ende ist, wissen die meisten. Der Grundkurs läuft je nach Airline zwischen sechs und zehn Wochen und dann wird man als „fertige Flugbegleiterin“ auf die Menschheit, zumindest auf den fliegenden Teil davon, losgelassen. Darum handelt es sich bei dem „Beruf“ Stewardess ja auch nicht um einen anerkannten Beruf, sondern lediglich eine „Tätigkeit“, mit der Begründung, dass die kurze Schulung einer wirklichen Ausbildung nicht das Wasser reichen kann.
Nun wird sich manch Neuanfänger im luftigen Gewerbe gewundert haben, wie viel Lernstoff es den Airlines gelingt, in sechs Wochen zu servieren, einzupauken und natürlich auch mit finalen Tests abzufragen. Noch interessanter ist es einmal zu erfahren, was man alles in zwei ganze Tage quetschen kann, denn ein jährlicher Refresher (Auffrischen des Grundwissens) ist für jeden Flugbegleiter Pflicht. An einem dieser Tage nimmt dann auch das Cockpit teil.

Ein Refresher kann zum Beispiel folgendes beinhalten:

Nach einer kurzen Bekanntmachung der einzelnen Kursteilnehmer geht es direkt los mit praktischen Übungen. Ein bewußtloser Pilot muss aus dem Sitz gezogen werden. Schon mal in einem engen Cockpit 100 leblose Piloten-Kilo aus einem engen Sitz per Rautekgriff gezerrt, ohne an irgendwelche Knöpfe oder Schalter zu kommen, die den Flugverlauf drastisch beeinflussen könnten? Danach geht es weiter zum Brüllen der Kommandos im Falle einer Evakuierung, zu Land, zu Wasser, vorbereitet oder auch nicht und das Ganze bitte zack, zack, vorwärts, rückwärts und vor allem schön laut, bis die Halsschlagader glüht. Im Ernstfall muss man 90 Sekunden lang brüllen können. Empfehle dies im Auto bei lauter Musik mal auszuprobieren. 90 Sekunden können eine Ewigkeit sein! Wir bereiten eine Notlandung in Echtzeit vor, mit allem was dazugehört, inklusive hysterischen Passagieren – nein, nicht Lippenstift neu auftragen und Boardingschuhe anziehen, sondern den Gästen noch einmal alles das live erklären, was sie im Safteyvideo verpasst haben, weil die Tagespresse interessanter war, als so ein schnöder Sicherheits-Film. Natürlich wird auch hier im Anschluss evakuiert, die Stimmbänder schreien nach dem ersten Tee.
Es gilt noch diverse andere Notfälle abzuarbeiten, die Einsatzmöglichkeiten unseres Trainingsraumes – ein originalgetreuer Flugzeuginnenraum, inklusive Küche, Cockpit, Türen und allem was man noch so braucht, sind mannigfaltig und ermöglichten so grandiose Szenarien wie ein brennendes Triebwerk, ein verklemmtes Fahrwerk, Rauch in der Kabine, ein plötzlicher Druckverlust und vieles mehr. Gerne gibt es auch mal einen Verletzten an Bord, einen Herzinfarkt, einen „Unruly“ – jemanden, der für nette Worte nicht mehr empfänglich ist und zum Schluss in Handschellen am Sitz gefesselt sitzt. Wer nicht hören will…
Die Schulung geht weiter mit Übungen im Erste Hilfe-Bereich: Ich kann Verbände und Schienen anlegen, halbtote Passagiere reanimieren mit Herzdruckmassage und Atemspende, weiß wie der Defibrillator zu bedienen ist, kann die verschiedenen Infektionskrankheiten und Drogen auseinander halten, weiß was bei Herzinfarkt, Schlaganfall und „akutem Bauch“ zu tun ist. Ich habe gelernt, das armes Putzpersonal in Afrika gerne meine Zahnbürste benutzt, weil es sich selber keine leisten kann – und was das für Folgen haben könnte. (Für mich, nicht das Personal.)
Des weiteren üben wir, die Rutsche zum Boot umzubauen, mit Dach, Masten und so weiter, und erleben live, wie man sich fühlen muss in so einem engen, schwabbelnden Gummiboot, mit knapp 80 Gästen, denen man dann auch noch erklären musste, wie das überhaupt ging mit dem Dachaufbau und das am besten noch bei 5 Meter hohen Wellen auf dem Atlantik. Unser „Kahn“ steht zum Glück auf Beton, die Übung im Schwimmbad gibt es nur zum Grundkurs. Die Notsignale gibt man als „Hilfskapitän“ jedoch nicht aus der Hand, zu kostbar, um vielleicht ungenutzt in den Fluten zu verschwinden. Das gilt auch für den Notsender: immer erst schön am Boot festbinden, bevor man ihn ins Wasser wirft! Wir beäugen noch intensiv Blendspiegel, Wasserentkeimungstabletten, das Survival-Handbuch, die Reparaturklammern, den Blasebalg und was sonst noch so für Zauberdinge im Bootspack versteckt sind.
So eine Rutsche ist natürlich erstrangig als Fluchtweg aus dem Flieger gedacht, also springen wir todesmutig mit einem Satz ins „nichts“ aus der Kabine in die A330 Rutsche, auch die richtige Rutschtechnik will gelernt sein, ohne kleinere oder größere Blessuren davonzutragen. Das Heraus-Pulen eines Notausstiegsfenster wird ebenfalls geübt, 15 Kilo einmal auf den Schoß plumpsen lassen und dann mit Schwung „auf die Tragfläche“ werfen. Wenn es weiter nichts ist.
Nach soviel Sport kommt Theorie, verschiedene Führungsstile werden besprochen und wir lernen, das Kommunikation alles ist an Bord – wie im wirklichen Leben auch. Wir analysieren ein Fallbeispiel eines real passierten Unfalles, bei einer anderen Airline, mit anschließendem Totalschaden. Was hätte man besser machen können? Wo sind Fehler aufgetreten?
Nach soviel Theorie geht es noch einmal rund, Feuer löschen auf einer Toilette, im Gepäckfach, im Ofen oder auf einem Sitz – all das muss man beherrschen, genauso wie das Zurechtfinden in einer abgedunkelten Kabine mit reichlich (Disko)-Rauch, wo man dann wahlweise ein Kind, einen Passagier, einen Gegenstand finden und „retten“ muss, oder im Dunkeln die Türöffnung übt oder das alleinige Anlegen einer Sauerstoffmaske. Und es wäre schön, wenn man den Ausgang dann auch selbstständig wieder finden würde, und zwar ziemlich zügig.

Die zwei Tage sind der pure Stress, trotzdem man weiß, dass es sich um eine Schulung handelt, steht man unter Strom. Man ist bestrebt stets richtig zu handeln, wird von den Kollegen nicht aus den Augen gelassen und muss sich oftmals überwinden – lautes Brüllen, kriechen durch die Dunkelheit, Springen in eine Sieben Meter lange Rutsche … all das gehört dazu. Gelernte Prozeduren müssen sofort abrufbar sein, fehlerfrei.
Fehlerfrei ist der Anspruch, den jeder von uns hat. Dennoch wird es nicht funktionieren, kein Notfall lässt sich bis ins Detail „auswendig lernen“. Commen sense ist immer gefragt, Spontanität gepaart mit Fachwissen. Wichtig ist immer reaktionsfähig zu bleiben. Und aus den gemachten Fehlern in der Schulung etwas mitzunehmen. Besser sie passieren dort als im Flieger.

Meine Schulung war erfolgreich, ich darf wieder ein Jahr Fliegen. Und wenn mich in der Maschine mal wieder jemand despektierlich als ungelernte Saftschubse anmault, die zu blöd ist, Kaffee heiß zu servieren, dann werde ich mich an diese zwei Tage zurückerinnern, milde lächeln und denken:
„Du armer Wicht hast ja gar keine Ahnung von meinem Job, in dem nörgelnde, respektlose und unwissende Passagiere das allerkleinste Übel im Flugzeug sind.“

In diesem Sinne – entspannte und sichere Flüge! Happy Landings to all of you!.