Thema Saftschubse …

Autorin: Kathrin
26.01.2013

Ich frage mich des Öfteren, warum die Tätigkeit des Bordpersonal so lieblos mit „Saftschubse“, „fliegender Kellner“ und „Trolleydolly“ bezeichnet wird und über die Jahre soviel an Glamour verloren hat, während die Piloten, diese Halbgötter in schmuckem, dunkelblauen Tuch mit güldener Litze am Ärmel immer noch unverändert angehimmelt und bewundert werden. Beide Gruppen verrichten nahezu dieselbe Arbeit wie vor Jahrzehnten und obwohl der Wunsch von vielen jungen Menschen in die Luft zu gehen – auf welcher Seite der Cockpittür auch immer – ungebrochen vorherrscht, sind die Stewards und Stewardessen in Niveau und Ansehen gewaltig abgestürzt.

Woran mag das liegen?

Meine Theorie – es liegt an den Gästen. Zu einfach? Als Fliegen noch etwas Besonderes war und ein Flugticket ein Mehrfaches vom Monatslohn kostete, waren „Hinz und Kunz“ noch nicht mit an Bord. Es flogen die Reichen, die Prominenten und einige wenige Normalsterbliche. Die Flugzeuge boten den Reisenden vernünftigen Platz, die Flugbegleitung hatte noch nicht mit 50 Gästen allein auf weiter Flur zu kämpfen, der Gedanke des Gastgebers an Bord wurde großgeschrieben. Welch ein Idyll.

Die Zeit änderte sich, Fliegen wurde erschwinglicher, der erste Massentourismus wurde mit Großraumfliegern eingeleitet. Der Deutsche war immer schon Weltmeister im Reisen, in den Fünfzigern mit dem VW Käfer, in den Siebzigern mit DC 10 und Tristar. Opa, pack die Badehose ein, wir fliegen nach Mallorca! Der Urlaub mit dem Flugzeug war trotzdem noch etwas besonderes, das kleine Einwegtablett mit den Miniportiönchen Wurst, Käse und Marmelade wurde ebenso freudig in Empfang genommen wie der lauwarme Kaffee aus der Plastiktasse. Und die Welt über den Wolken war immer noch in Ordnung.

Heutzutage ist ein allinklusive-Urlaub in Puerto Plata in der Dominikanischen Republik billiger als eine Reise in den Schwarzwald. Fliegen ist für alle da, für viele mehrmals jährlich oder sogar wöchentlich.
Der Zauber des Besonderen ist längst verpufft. Heute geht es bei den Anzugträgern nur noch um „Gang oder Fenster?“, „Wo ist der Platz für den Schrankkoffer?“, „Wie komme ich als erstes aus dem Flugzeug heraus?“ und „Ich mach mein Handy gleich aus, es ist sehr wichtig!“ Für die fröhlichen Pauschalurlauber fängt der Spaß im Flieger manchmal schon morgens um 8 Uhr mit einem eisgekühlten Bierchen an. Nach dem dritten sind sie richtig lustig, beim fünften grölen sie witzige Lieder und beim siebten fangen sie an zu schnarchen oder flippen komplett aus. Ob es das damals wohl auch schon so extrem gab? Alkoholfreiabgabe sicherlich, aber Kampftrinker auch? Der Streit um die Mittelarmlehne? Das ewige Hick-hack: Darf der seine Rückenlehne nach hinten stellen oder nicht? Ich kann mir nicht vorstellen, das vor 30 Jahren ein Gast zu einem anderen Passagier gesagt hätte: „Mach die Sch…rückenlehne wieder hoch und kuck nach vorne, Du S.., sonst polier’ ich Dir die Fr…e!“ ( Flug MIA-DUS, 4.1.2012, irgendwo über dem großen Teich.)

Wenn immer mehr von dieser „einfachen“ Klientel auf Reisen ist, wird natürlich auch mehr über das Bordpersonal diskutiert. Entgegen der landläufigen Meinung sind wir ja nicht nur zum „Saft schubsen“ an Bord, sondern vor allen Dingen als Kummerkasten, Seelentröster, Prellbock, Psychologe … wir sind der Katalysator für allen Unmut, den ein Passagier haben könnte und den er gerne bei uns ablädt. Hier liegt unsere eigentliche Arbeit. Natürlich tut es uns leid, dass die Vierköpfige Familie nicht komplett am Fenster sitzt, dass das Sandwich nicht schmeckt, der Sitzabstand so gering ist, der Platz sich direkt vor der Toilette/ der Küche/ dem Triebwerk befindet, die Maschine schon wieder Verspätung hat, die Maschine zu früh landet und die Abholer noch nicht da sind, es nur 12 verschiedene Tageszeitungen und keinen Spiegel gibt – außer den auf der Toilette – , die Gepäckfächer viel zu klein sind, und der Sitznachbar irgendwie komisch riecht / schnarcht / die Armlehne besetzt / laut Musik hört / ständig pupst … Ich entschuldige mich gerne, für zu teure Tickets, die unfreundliche Mitarbeiterin am Schalter und dass der Pilot keine/ zu viele / zu laute oder zu leise Ansagen macht. Es tut mir alles so leid. Es ist ein super Gefühl für alles verantwortlich gemacht zu werden, vor allem wenn es Dinge sind, die man weder ändern noch beeinflussen kann. Hab ich die Sandwiches belegt? Den Schnee bestellt? Das Flugzeug ausgerüstet?

Leider nicht. Ich stelle in meinem persönlichen knappen Vierteljahrhundert als aktive Stewardess fest, dass die Tendenz zum Nörgeln inzwischen epische Ausmaße angenommen hat. Steward/ess sein bedeutet(e) kompetente, charmante Flugbegleitung. Alle die diese Tätigkeit gewählt haben, wollten gerne Gastgeber sein. Leider geht dieser Ehrgeiz immer mehr verloren, die meiste Zeit verbringen wir nicht mit Service am Gast, sondern mit Entschuldigen, Fremdschämen und Streit schlichten. Das einem dabei die Hutschnur hochgehen kann – ja, auch Flugbegleiter mit Nerven aus Stahl haben irgendwo ein Limit – und man dann verbal explodiert, kommt vor. Manche Passagiere brauchen auch eine ganz klare Ansage: Bis hier hin und nicht weiter! Die, die ihren Sitznachbarn beschimpfen, weil er die Rückenlehne verstellt hat. Die, die mir an den Klamotten herumziehen, weil sie nicht schnell genug an mir und meinem Trolley vorbei können. Die, die mir „neckisch“ auf den Hintern hauen oder sogar keck in den Ausschnitt langen.

Der Trend von der devoten, unsichtbaren Servicefachkraft an Bord geht also zum Ärmel aufkrempelnden Flugbegleiter, der sich schon vor dem Dienst eine Stahl-Rüstung über die Nerven zieht, damit er den Tag überhaupt unbeschadet steht. Dies soll keine Entschuldigung für freche, flapsige und arrogante Kolleginnen und Kollegen sein, die zweifelsfrei auch in Lohn und Brot stehen, Passagiere als Notwendiges Übel ansehen und immer froh sind, wenn sie aus der Aluminiumdose wieder heraus sind. Aber es gibt da ja auch noch die anderen, die trotz allem einen hervorragenden Job machen und auch in heutigen Zeiten gerne Gastgeber an Bord sind. Warum werde die als Saftschubsen diskreditiert? Oder soll diese Bezeichnung gar lustig sein? Vielleicht könnte man mit ein wenig mehr Rücksichtnahme und Empathie für seine Mitreisende ein Quäntchen zur positiven Stimmung beitragen. Sowohl hüben, wie drüben. Dann könnten wir uns wieder auf die wesentlichen Dinge an Bord konzentrieren und ich müsste nicht mehr neidisch auf die Cockpittür starren. ☺