Was man sich an Bord alles so bieten lassen muss … oder warum Flugbegleiter so eine lange Leitung haben ;)

Autorin: Kathrin
12.07.2014

Nach dem sehr emotionalen Interview mit einem berühmten Fußballer vor einigen Tagen dachte sich ein junger Radiosender, „wie viel muss man sich eigentlich gefallen lassen, wenn man im öffentlichen Leben steht?“ und suchte dahin gehend Interviewpartner.
Nun bin ich weder berühmt noch sportlich aktiv, stehe aber berufsbedingt täglich mit hunderten von Menschen in Kontakt und war es damit wert, dem Sender mit einigen anderen Gästen meine bescheidene Meinung kund zu tun.

Die erste Frage war: „Welche Passagiere regen Sie am meisten auf?“
Komische Fragestellung, dachte ich. Ich könnte ausgiebigst darüber referieren, worüber sich die Gäste an Bord beschweren – aber ist das an eine bestimmte „Art“ von Passagieren gekoppelt? Ich glaube kaum. Die Verärgerung über Verspätungen, zu enge Sitze, quengelnde Kleinkinder und übermüdete Säuglinge, unzureichende kulinarische Genüsse und anstrengende Sitznachbarn gibt es durch die Bank. Reisen in einem Flugzeug ist zwar für viele inzwischen etwas Alltägliches und doch belastet es weit aus mehr als eine Busreise in den Schwarzwald oder eine Fahrradtour an die Schleswig- holsteinische Ostseeküste. Woran mag das liegen?

Ich glaube, dass der „Paxus Nörgelus“, also der Beschwerde führende Gast, überhaupt nicht an einer Überdosis „Nörgelismus“ krankt, sondern schlicht dem Reisefieber erlegen ist. Obwohl es ja in jeden Lebensbereichen Menschen gibt, für die Glas immer halbleer anstatt halbvoll ist. Flugreisen sind anstrengend – selbst die, bei denen es nicht interkontinental zugeht und man nicht noch die volle Breitseite des Jetlags einkalkulieren muss. Man steht früh auf, hat vielleicht schlecht geschlafen, steht schon auf der Autobahn im Stau, findet keinen Parkplatz unter 150 Euro für sieben Tage am Airport, steht am Schalter wieder in der Schlange, bekommt von der Security-Kontrolle das Lieblingsparfüm abgenommen, weil zwar nur noch 90 ml im Flakon sind, aber mal 200 ml hineingepasst haben und statt des Fensterplatzes an Bord gibt es dann nur noch einen Gangplatz – den ganz tollen, hinten vor den Toiletten. Wäre Stimmung mit einem Gummiband zu vergleichen, hätte es sich zu diesem Zeitpunkt bereits zu Zerreißen gespannt.

Um dem Ganzen dann noch mehr Pfeffer zu verleihen, ist dann an Bord das Wunschessen nicht mehr verfügbar, das Kind hinter einem trampelt permanent gegen die Rückenlehne, während sich die des Vordermannes mit Schwung nach hinten klappt. Der Sitznachbar riecht eigenartig nach orientalischen Gewürzen und als er die Schuhe auszieht, ist man auf Grund von olfaktorischer Überforderung einer Ohnmacht nahe. Mit halben Ohr erfährt man noch, dass der Anschlussflug leider nicht warten kann, da der spontane Reifenaustausch am Fluggerät am Abflughafen den Zeitplan doch mehr durcheinandergerüttelt hatte als geplant und beim Bordshop erklärt ihm die Flugbegleiterin, dass das begehrte Modell der Sonnenbrille „Toskana“ in nachthimmelblau leider schon seit Reihe 12 ausverkauft ist.

Spätestens an diesem Zeitpunkt hat auch das frömmste Lämmchen von Passagier einen Blutdruck von 110 zu 185 – da fehlt dann nur noch der berühmte Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt. Und Tropfen fallen auch in 10 000 Metern Reiseflughöhe viele.

„Wie gehen Sie damit um?“, wollte die nette Moderatorin wissen, „wenn ein Gast ausflippt? Was können Sie da tun?“

Das ist eine gute Frage: Was kann ich tun? Ich kann versuchen, zu moderieren – sofern sich zwei Gäste wegen etwas in den Haaren haben. Viele Probleme an Bord – wie zum Beispiel das Rückenlehnendrama – lassen sich nicht lösen, sondern schlichtweg nur aussitzen. Im günstigsten Fall habe ich Platz und kann die Streithähne auseinander setzen. Im Normalfall habe ich das nicht und kann nur an gegenseitige Rücksicht appellieren.

„Was machen Sie, wenn ein Gast Sie anpampt?“, bohrte die Dame vom Sender weiter nach.
Ganz profan? Ich versuche, mich in die Lage des Gastes hineinzuversetzen. Ich weiß, dass die Situation an Bord stressig ist. Gute Kenntnisse in Beschwerdemanagement können da helfen, auch oder vielleicht gerade bei Gästen, die ihre gute Kinderstube beim Check in mit dem Gepäck zusammen am Schalter abgegeben haben.

„Und wo ist dann für Sie die Grenze?“ hakt meine Gesprächspartnerin nach. „Man kann sich doch nicht alles gefallen lassen, nur weil man feinfühlig reagieren will?“

Ich denke kurz nach. Wo sind meine persönlichen Grenzen? Sicher ist es von der Situation abhängig.
„Allgemein würde ich sagen, dort, wo es persönlich wird. Mir hat ein Gast mal an Bord einen Vogel gezeigt – nach einem dreistündigen, nervenzerreibenden Miteinander auf einer Reise nach Bangkok, weil alles an Bord irgendwie nicht richtig war. Irgendwann sind die persönlichen Grenzen tatsächlich erreicht. Im Straßenverkehr kostet ein Vogel 750 Euro und wird als persönliche Beleidigung geahndet, an Bord eines Verkehrsflugzeuges darf ich doch annehmen, dass es sich ähnlich verhält?“

„Und was haben Sie in dem Fall gemacht?“

„Ich wollte gerne den Reisepass haben, um die persönlichen Daten aufzunehmen. Soweit ist es dann allerdings nicht gekommen, aber der Gast war die nächsten sieben Stunden ruhig.“

„Das ist ja unglaublich“, grinste die Moderatorin. „Aber mal Hand aufs Herz – Sie bleiben doch nicht immer so cool? Tratscht man da nicht auch mal in der Küche über so nervige Gäste?“

„Natürlich tun wir das, weil der schnellste Weg des Stressabbaus immer über den Austausch mit Gleichgesinnten erfolgt. Allerdings ist dies immer mit sehr viel Fingerspitzengefühl zu handhaben, denn der Vorhang ist keine Schallisolierung, die Wände bestehen nur aus Presspappe und es wäre kaum etwas peinlicher, als wenn man gerade mit einem Stoßseufzer von der Nervensäge auf 5 C berichten würde und just dieser Gast dann auf einmal hinter einem in der Küche stünde, weil er gerne zur Toilette möchte.

Die Dame vom Radio lachte, hakte aber nach: „ Wie schaffen Sie es denn, vor dem Gast immer so ruhig zu bleiben? Platzt einem da nicht irgendwann mal die Hutschnur bei so manchen Beschwerden?“

Ich musste schmunzeln und verriet ihr mein Geheimnis: „Die Kunst ist die Abkopplung des inneren Gemütszustandes von der äußeren Fassade. Ich kann innerlich denken: Was geht mir das hier gerade alles auf den Keks, und äußerlich so freudig aussehen, als hätte ich gerade einen 5er mit Zusatzzahl getippt. Das nennt man Contenance und ist hart erarbeitet.“

„Und wenn die Contenance nicht ausreicht?“, beharrte die Moderatorin weiter.

„Dann gehe ich in die Galley und trete gegen den nächstbesten Trolley.“

Jetzt ist auch raus, warum die Trolleys oftmals so dicke Beulen haben – von wegen Turbulenzen! Ich grinse und schaue auf meine Füße, die während des Interviews in makellos weißen Turnschuhen stecken. Dabei fällt mir ein, dass ich demnächst wohl ein paar neue Galleyschuhe brauchen werde. Aber das liegt natürlich nur am Treten der Trolleybremse mit dem rechten Fuß. Ansonsten sind wir Flieger ja tiefenentspannt.