Wind

Autorin: Kathrin
05.04.2013

Ich hasse Wind! Im Moment wütet er draußen so sehr, dass mich wundern muss, wie meine armen Hühner es schaffen, nicht von den Böen im hohen Bogen von der Wiese geblasen zu werden. Die ganze Nacht hat es gestürmt wie der Teufel und mich kein Auge zu tun lassen. In den wachen Momenten, in denen der Sturm draußen jaulte und energisch an den Fensterläden rüttelte, dachte ich: Gut, dass Du bei so einem Wetter nicht fliegen musst!

Wind kann in der Fliegerei durchaus von Vorteil sein, wenn er denn aus der richtigen Richtung kommt – leider tut er das nicht immer. Energische Jetstreams in 12 000 Metern Höhe gehen mir auf den Keks, weil sie zumeist meine Servicepläne intervenieren. Und wenn es dann richtig wackelt, vorzugsweise des Nachts über dem Atlantik, wünsche ich mir des Öfteren, doch lieber bei Lidl an der Kasse zu sitzen, anstatt in einem 240 Tonnen schweren Jet den Naturgewalten zu trotzen.

Ich erinnere mich an einen Flug von Rio de Janeiro nach Frankfurt. Damals war ich noch gar keine Stewardess, sondern Hotelfachfrau, die mit 21 Lenzen drei Wochen Überstunden in der schönsten Stadt Südamerikas abbummelte. Mein Flieger für den Rückflug war von Aerolineas Argentinas, kam aus Buenos Aires und pickte einige Zusteiger in Rio für den Weiterflug nach Europa auf. Der Sturm in Brasilien war inzwischen so eskaliert, dass 15 Meter hohe Palmen mit den Wipfeln den Boden berührten. Die 747 war die letzte Maschine, die mutig den Airport verließ. Dieser Flug war etwa zu vergleichen mit einem Ritt auf dem „Electric Bull“, mit dem Unterschied, dass dieser zumeist nach kurzer Zeit zu Ende war und der Reiter auf einem weichen Polster landete – wir jedoch eierten stundenlang bis zum Erreichen des Festlandes von Europa durch schwerste Turbulenzen! Sämtliche Gepäckfächer brachen bereits kurz nach dem Start auf, Handgepäck, lose Gegenstände, alles flog kreuz und quer durch die Kabine, die Leute schrien wie am Spieß, beteten, weinten, bekreuzigten sich … südamerikanisches Temperament eben. Es war der zweite Flug in meinem Leben und ich war zutiefst beeindruckt. In Spanien mussten wir dann zwischenlanden, weil der Sprit durch das widrige Wetter quer über den Atlantik bis Frankfurt leider nicht reichte. Der Kapitän wurde, als er in der Bodenzeit das Cockpit verließ, von den weiblichen Passagieren umarmt und mit Küssen überhäuft und meine Knie fühlten sich an wie Pudding.

Mit 21 vergisst man schnell, ich bin trotzdem frohen Mutes Flugbegleiter geworden, weil der blaue Himmel über Hamburg mich lockte, mit Flügen in die große weite Welt. Wie sonst konnte man den Globus einfacher bereisen, wenn nicht in einer Aluminiumdose mit Tragflächen dran. Turbulenzen jeglicher Couleur irritierten mich kein bisschen, ich vertraute blind meinem fliegenden Büro und meinen kompetenten Kollegen im Cockpit.

Bis ich dann vor fünf Jahren auf eine Reise nach Varadero auf Kuba eingeteilt wurde. Wir ließen in Düsseldorf alles stehen, was ersetzlich war, denn unserer Langstreckenmaschine war ein Cateringswagen ins Triebwerk gefahren und die Ersatzmaschine nur ein Mittelstreckenmodell. Da hieß es an Gewicht sparen, wo es ging, um die Reichweite zu erhöhen. Mitten über dem Atlantik gerieten wir in schlechtes Wetter, die Maschine flog immer tiefer, immer langsamer und musste schlussendlich in Freeport auf den Bahamas landen, weil das Kerosin bis Kuba nicht reichte.
Natürlich tankten die Piloten nur das nötigste für einen einstündigen Flug plus Reserve und damit war unser Flieger so leicht wie ein Wattebäuschchen im Wind.

Kaum hatte das Fahrwerk den Boden verlassen, fühlte es sich an, als ob die Maschine mit einem Pümpel nach oben gesogen werden würde, nur um Sekunden später wieder wie ein Stein aus dem Himmel zu fallen. Ich erwartete einen wüsten Aufschlag auf die Startbahn, doch offenbar waren wir doch schon hoch genug, der Steigflug wurde fortgesetzt. Das Flugzeug wurde dabei heftig nach links, rechts, oben und unten gerissen, geschoben, gedrückt – das war kein Fliegen mehr, wir waren nicht viel mehr eine Feder, ach was, ein Hasenpups im Wind. Der Copilot beschrieb es später treffend als Ritt auf der Kanonenkugel. Gäste, die sich zuvor lautstark über die unplanmäßige Zwischenlandung beschwert hatten und spöttisch ihr Feuerzeugbenzin für uns sammeln wollten, waren auf einmal merkwürdig ruhig. Die Inneneinrichtung der Kabine ächzte und knarrte, als wäre sie kurz vorm bersten. Die Gepäckfächer hielten diesmal stand und im Vergleich zu dem Flug von Rio nach Europa war es in der Kabine totenstill, wenn man von den stampfenden Triebwerken im Sturm und dem laut knackenden Kunststoff in der Fluggastzelle absah. Gebetet haben wahrscheinlich viele, meine Wenigkeit eingeschlossen. Einundsechzig Minuten hat die Reise mit diesen Turbulenzen von Freeport nach Varadero gedauert; wir stiegen dann aus, am 2. Januar 2008, bei 6 Grad auf Kuba, wieder mit Pudding in den Knien, dankbar, es überlebt zu haben. Klingt unglaublich? War aber genau so.

Seitdem ist der Wind nicht mehr mein Freund. Der Sturm Kyrill hat im Nullkommanichts zuhause ein Viertel unseres Daches abgedeckt und eine 120 Jährige Linde im Wald gefällt – ach was – weggepustet! Emma war auch nicht viel besser. Das Wetter wird immer wilder und ich habe nicht mehr diese blauäugige Zuversicht, dass nichts passieren wird. Eine Stewardess mit Flugangst – na bravo! Und das alles wegen einem bisschen bewegter Luft?

Es gibt die dollsten Sachen. Aber es gibt auch für alles eine Lösung.

To be continued