Geheime Zeichen und Rituale an Bord

Autorin: Kathrin
18.10.2014

Im Gegensatz zum frühen 20. Jahrhundert ist Fliegen heute etwas ganz alltägliches, eine absolut normale Art der Fortbewegung und nichts außergewöhnliches mehr. Oder doch?

Manche Menschen scheinen dies nicht ganz so gelassen zu sehen. Und so gibt es auch anno 2014 noch die unterschiedlichsten Rituale und Verhaltensweisen, die streckenweise amüsant zu beobachten sind. Wer bekreuzigt sich heutzutage, küsst seinen Ring und schaut bittend in den Himmel, wenn er in eine Straßenbahn einsteigt? Ich denke, die wenigsten. Wie viele Passagiere klopfen wohl auf den Rahmen eines Omnibusses oder eines Intercitys, bevor sie einsteigen oder sprechen ein leises Gebet, ehe die Reise losgeht? Gibt es solche Gäste überhaupt? Auch das Abschließen von Versicherungen oder das Niederlegen eines Testamentes sind beim Benutzen von öffentlichen Nahverkehrsmitteln oder dem eigenen PKW eher selten. Ist das Fliegen also auch heute immer noch ein bisschen speziell?

Es muss ja nicht immer gleich mit soviel Dramaturgie von statten gehen. Viele Rituale haben sich im Laufe der Jahre einfach so eingeschlichen und sind hartnäckig geblieben. Der immerwährende, nie vernünftig schmeckende Tomatensaft zum Beispiel. Er ist aus der Fliegerei nicht wegzudenken, auch wenn ihn kaum einer wirklich mag. Vielleicht könnte man ihn mit Wodka und einem Strunk Sellerie etwas aufpeppen, aber wie auch immer er an Bord gelangt, er gehört untrennbar zur Fliegerei dazu – genauso wie das Popcorn zum Kino – Tomatensaft ist unbestritten nach Kerosin und Hydrauliköl die drittwichtigste Flüssigkeit an Bord.

Andere Gäste sehen das anderes, für sie gehört ein Pikkolöchen zur gelungenen Reise dazu, dabei ist es völlig egal, ob die Maschine morgens um 7 Uhr in Richtung Malta abhebt, oder um 12 Uhr nach Punta Cana, ein bisschen was für den Kreislauf geht immer. Und schließlich hat man ja auch Urlaub.

Viele Passagiere reisen nie ohne ihr eigenes Schmusekissen, die Lieblingsfleecejacke oder Tim, den Teddybären. Gut so – was gut tut, sollte auch mitfliegen. Es gibt auch genügend Flugbegleiter, die nie ohne persönliche Glückssocken, das Schmusetuch vom Jüngsten, ein ausgeklügeltes Survivalkit an Teebeuteln, Hautcremes und Pflastervorrat oder dem neuesten Foto des Schatzes fliegen. Aus sicherer Quelle weiß ich, dass eine Kollegin niemals ohne ‚Hello Kitty’-Unterhose in ein Flugzeug steigt. Und vor kurzem gab es fast Verspätung, weil jemand aus der Crew seinen Ehering zu Hause liegengelassen hatte und noch einmal umkehren musste. Ohne Ehering fliegen? Ein Ding der Unmöglichkeit!

Auch für die Stressbewältigung im Universum Flugzeuge haben Angehörige des Flugpersonals eigene Rituale entwickelt. Während der eine mit dem intensiven Gebrauch einer Fusselbürste zwischen den Arbeitsgängen versucht, Stress und Hektik von sich abzubürsten, verschwindet ein anderer mit einer Tafel Schokolade aus dem Bordshop im ‚Wellnessbereich’, wenn es ihm an Bord zu bunt wird. Ein paar Hundert schmackhafte Kalorien später ist die Welt und das Gefühlsleben wieder in Ordnung. Auch Piloten scheint die Toilette bei der Entspannung und Erdung zwischendurch zu helfen, wie soll man es anders nennen, wenn dieses enge Örtchen mit einer dicken Zeitung unter dem Arm von der fliegenden Fraktion aufgesucht wird?

Ich mag diese kleinen „Aberglaubigkeiten“ und persönlichen Macken. Ich finde sie charmant und sympathisch und vor allem sehr menschlich. Ich mache mich selbst auch nicht frei davon. Wenn ich auf Langstrecke gehe und meinen Koffer vor dem hinteren Frachtraum am Heck der Maschine abgestellt habe, gehe ich immer unter dem Flieger hindurch (anstatt wie empfohlen außen herum) und kraule ihm mit dem Zeigefinger seinem Bauch. Ich ziehe für zwei Schritte eine Linie und schaue mir danach meinen Finger an. Manchmal ist die Fingerspitze rabenschwarz vor Dreck, manchmal ist sie noch nicht einmal schmuddelig, aber immer gibt mir diese Geste ein gutes Gefühl. Es ist für mich eine sehr intime Verbindung zu „meinem“ Flugzeug. Ich schaue auch gerne noch einmal, bevor ich die Hühnerleiter zu meiner Tür emporklettere, ins Triebwerk hinein, einfach so. Weil es ein gutes Gefühl ist, dass so ein monströses Stück top gewarteter Technik mich, meine Crew und unsere Gäste in Kürze sicher über den Atlantik bringen wird. Ja, da könnt ihr ruhig über mich lachen. Immerhin lässt dieser Spleen mich die „Rahmenklopfer“ unter den Gästen so gut verstehen.

Früher hatten wir noch ganz andere Rituale. Nach dem Start haben sich zum Beispiel erst einmal alle Flugbegleiter in der mittleren Bordküche versammelt und zusammen eine geraucht. Egal wie kurz die Flugzeit war, der Kaffee und die Zigarette dazu waren immer drin. Im Zuge der Nichtraucherflüge ist das natürlich weggefallen und ich muss zugeben – es war mit eine der besten Ideen überhaupt, das Rauchen an Bord zu verbieten. Da hatten nämlich so manche Passagiere ihr eigenes Ritual: Nichtraucher buchen, in der angenehmen, rauchfreien Luft sitzen und zum schmöken mal kurz nach hinten gehen. Was zur Folge hatte, dass der Raucher, der einen freien Platz neben sich hatte, ununterbrochen von Nikotintouristen aus dem Nichtraucherbereich zugequarzt worden ist. Streckenweise konnten wir die Luft dort hinten wirklich in Würfel schneiden.

Das Afterlanding ist ein anderes Ritual, welches kurz vor dem Aussterben steht. Warum eigentlich? Nach fast jedem Flug haben wir in der Crewlounge noch zusammen gesessen, ein Bierchen, einen Sekt oder einen Kaffee getrunken und den Flug noch einmal an uns vorbeisausen lassen, egal ob morgens früh oder abends spät. Heute sind Afterlandings selten geworden, sie finden fast nur noch auf Langstrecke statt und dann bevorzugt an Orten, an denen niemand zum shoppen entfleuchen kann. Schade.

Ein Ritual, was nie aussterben wird, ist das Meckern an Bord. Ich glaube nämlich, das die eine oder andere vorgebrachte Beschwerde im Flugzeug gar nicht unbedingt etwas mit einer Beschwerde zu tun hat, sondern eher eine Art der Kontaktaufnahme ist. „Hallo!“, ruft da eigentlich der Gast, „ hier bin ich, bitte kümmere dich um mich!“ Kein Problem, das machen wir natürlich gern. Aber wir können auch einfach so mal kurz klönen. Vielleicht über dein spezielles Ritual beim Fliegen?

2 Kommentare zu “Geheime Zeichen und Rituale an Bord”

  1. Gerry Hunger HUG schrieb:

    Bin sehr erfreut und amüsiert über die tollen Berichte ( Als ehemaliger FB der LTU ), Die Afterlandings waren tatsächlich ein Ritual Bei Langstreckenzielen wurde eigentlich immer ein Hotelzimmer ausgesucht und spätestens nach 20 Min.
    war die komplette Crew mit diversen Getränken zur Stelle. Der Grund war u.a. auch, falls der Flieger ein tecnical hatte, wegen Alkoholgenuss den Rückflug nicht antreten zu müssen und somit die damals so schönen Wochenstopps nicht zu riskieren. Gruß unbekannterweise Gerry HUG und weiter so….

  2. Kathrin schrieb:

    Hallo Gerry,
    die von Ihnen erwähnten Afterlandings sind mir auch nicht fremd, das waren schon lustige Zeiten damals.
    Dass jemand sich allerdings mit übermäßigen Alkoholgenuss vor einer vorzeitigen Rückreise retten wollte, kann ich nicht bestätigen 😉
    Viele Grüße,
    Kathrin