Das Miteinander an Bord

Autorin: Kathrin
17.08.2014

Machen wir uns nichts vor: das Leben in einem Flugzeug findet auf engstem Raum statt, in der Economy genauso wie in einer der gehobenen Klassen, und es gibt für die Dauer der Reise absolut keine Möglichkeit wegzulaufen. Auf den günstigen Plätzen sitzt man dicht an dicht, direkter Kontakt zum Sitznachbarn ist selbst bei höchsten Ambitionen kaum zu vermeiden. In Business und First ist der rein körperliche Abstand zwar deutlich größer, aber auch dort ist es manchmal enger, als einem lieb ist. Reisen in einer ‚fliegenden Konservendose’ fordert von jedem die Empathie für Mitreisende, die eigene Toleranz und das Verständnis für die außergewöhnliche Situation bis an die Grenzen heraus. Das gleiche gilt im Umkehrschluss auch für meinen Arbeitsplatz: Jeder Millimeter wird ausgenutzt, überflüssiges gibt es nicht, alles muss funktionell, sicher und praktisch sein. Die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Gast und Personal ist daher nicht von der Hand zu weisen. Wir müssen uns alle mit der speziellen Location ‚Flugzeug’ arrangieren, der Preis für eine flotte Reise durch die Luft, obwohl der Mensch eigentlich nicht fliegen kann.

Ich befriedige die unabdingbaren Wünsche meiner Gäste – Trinken, Essen, und Smalltalk – gerne. Es scheint in der Tat ein Grundbedürfnis zu sein, sich mitzuteilen, egal ob es sich um Durst, Hunger, Kopfschmerzen, den verpassten Zug zum Bahnhof oder den nicht mehr zu erreichenden Mietwagen handelt. Aber oftmals sind die Gespräche nicht nur informativer sondern auch sehr charmanter Natur, freundlich, ironisch, säuselnd, flirtiv… Heruntergerechnet sind die Aussagen zwar dieselben, aber es macht in einer netten Verpackung unendlich mehr Spaß darauf zu reagieren.

Im täglichen Miteinander gibt es Flirtprofis, die sich vielleicht sogar ein bisschen zu weit aus dem Fenster lehnen und schüchterne Anfänger, die zaghaft nach den richtigen Worten suchen. Ich kann mich noch sehr gut an meine Anfangszeit in der Fliegerei erinnern, an diverse Visitenkarten auf den abzuräumenden Tabletts, dezent unter den Jogurt Becher geklemmt, die hastig auf die Papierserviette gekritzelte Telefonnummer oder den unüblichen Handschlag zum Abschied, der einen kleinen Zettel mit Kontaktdaten verbarg. Mit Anfang zwanzig fühlt man sich sehr geschmeichelt, manchmal auch bedrängt oder sogar genervt – je nach Auftreten und Erscheinung des Herausforderers. Sicher ist nicht nur eine knackige Zwanzigjährige in Uniform ein optischer Leckerbissen und unsere schnieken Jungs will ich dabei natürlich auch nicht vergessen. Viele sexy Lichtblicke kredenzt man ganz nebenbei und ungewollt im Job, bei der täglichen Routine, sei es beim Herausangeln des letzten Hähnchengerichtes aus den hintersten Tiefen des Trolleys oder beim Wühlen auf Zehenspitzen im Gepäckfach nach Decken und Kissen. Ich glaube, jeder von uns ist sich seiner Wirkung und Erscheinung an Bord bewusst.

Vielleicht liegt es in der Natur der Sache. Wir stehen immer unter akribischer Beobachtung, völlig unabhängig von dem, was wir tun. Dabei muss der Grund für die uns geschenkte Aufmerksamkeit seitens der Gäste gar nicht unbedingt der Wille zum Flirten sein, wir sind schlicht das fest installierte bordeigene Unterhaltungsprogramm, geboren aus dem schmalen Umfeld, der ungewöhnlichen Situation im Flugzeug und dem Mangel an Alternativen. Wir stehen immer im Focus und es muss keine dramatische Wiederbelebung eines Herzinfarktpatienten sein, die Aufmerksamkeit erregt, es genügt schon die live Vorführung der Schwimmwesten, das Einwickeln einer Stange Zigaretten, das Mixen eines Cocktails oder der einfache Gang durch den Flieger.

Ich habe schon lange keine Berührungsängste mehr. Ich weiß, dass eine flüchtige, unverbindliche Berührung am Arm oder an der Schulter ad hoc eine Nähe und Verbindlichkeit schafft, (so man es denn nicht übertreibt), die herzlich und dennoch unverfänglich gemeint ist. Heutzutage zu flirten ist etwas ganz anderes als damals. Ich gehe viel unbesorgter damit um, mit den vier Pfund mehr auf den Rippen, den ersten Fältchen und den silbernen Streifen im Haar. Mein Flieger ist mein Wohnzimmer und meine Passagiere sind meine Gäste. Ich kann sie mit einem Augenzwinkern in die richtige Richtung lenken, wahlweise als Mutter Theresa oder auch mal als Sharon Stone. Die Familien mit Kindern kann ich als Mutter mit meinen Erfahrungen unterstützen, die Teenies, die den Ballermann unsicher machen wollen, kann ich entweder fürsorglich unter meine Fittiche nehmen oder alternativ einnorden, genauso wie die fröhlichen Kegelbrüder und –schwestern. Ich habe genügend Contenance und Fingerspitzengefühl, um den Geschäftsmann und den Vielfliegergast professionell zu umsorgen und selbstverständlich bleibt auch noch genug gute Laune übrig, für all die anderen Gäste, die einfach so sind, wie sie sind.

Wir Flugbegleiter brauchen zwingend ein gesundes Maß an Extrovertiertheit, um mit diesem Brennpunkt gut umgehen zu können. Wohl dem, der stets schlagfertig ist, ohne dabei frech oder gar verletzend zu sein. Der Schlüssel ist ein charmanter Habitus mit einem Lächeln im Knopfloch und dennoch bestimmtem Auftreten.

Ich stelle fest, dass mir Flirten inzwischen viel mehr Spaß macht als damals. Mein Hausarzt meint, ich bin im knackigen Alter – es knackt inzwischen an jeder Stelle, wenn ich mich bewege und die fünf auf der nächsten runden Geburtstagstorte ist nicht mehr Lichtjahre entfernt. Soll sie doch kommen – ich fühle mich prima! Ich finde, es ist nicht mehr alles so ernst zu nehmen, eine der wenigen Vorteile des fortgeschrittenen Alters. Es liegt keine Verbissenheit mehr in der Luft, kein gekünsteltes Verhalten, sondern eine Leichtigkeit, eine Unbeschwertheit, die dem ganzen Miteinander eine fröhliche Transparenz verleiht.

Wir gehen eine Beziehung auf Zeit ein, die Passagiere und ich. Manchmal ist es eine einzige Stunde, manchmal sind es drei oder vier und manchmal sogar zwölf – ein ganzer, halber Tag, wie Jojo Moyes vielleicht dazu sagen würde. Unser „gemeinsames Verhältnis“ ist sozusagen von vornherein abzusehen. Und es bereitet mir größtes Vergnügen, wenn ich dies auf seriöse, augenzwinkernde und charmante Art und Weise angehen kann. Fliegen ist anstrengend genug. Pflegen wir unser Miteinander. Beide Seiten können nur gewinnen.

2 Kommentare zu “Das Miteinander an Bord”

  1. Claudia Kazner schrieb:

    Hallo Kathrin,

    ein großes Lob von mir als ehemalige Kollegin und Neuling in der Bloglandschaft. Dein Schreibstil gefällt mir sehr gut und Dein Blick auf einen der schönsten Berufe spiegelt einiges meiner Einstellung und Sichtweise hierzu wider. 17 Jahre war ich dabei und auch nach 6 Jahren Abstinenz hat die Fliegerei für mich nichts an Faszination verloren. Weil ich zudem ebenfalls sehr gerne schreibe, hole ich mir diese Zeit nun ein wenig zurück. Vielleicht hast Du ja Lust, auch mal auf meiner Seite vorbeizuschauen, ich würde mich sehr freuen!
    Liebe Grüße Claudia

  2. Kathrin schrieb:

    Hallo Claudia,
    vielen Dank für Dein Lob. Habe ein bisschen bei Dir gelesen und amüsiert festgestellt, dass wir beide den gleichen Postkartentick haben, auch wenn ich keine an mich selber schicke. Ich schreibe seit 25 Jahren regelmäßig von meinen Auslandsaufenthalten, seien sie auch noch so kurz. Karten kann man später mal wieder in die Hand nehmen und sich an die Reisen erinnern. Bei emails und SMS ist das schwierig 😉
    Wünsche Dir noch viele bunte Karten!
    Viele Grüße,
    Kathrin