Und immer wieder dieses Handgepäck …

Autorin: Kathrin
09.03.2013

Mittwochmorgen, 6 Uhr 10. In fünf Minuten sollten wir starten für einen kurzen Hüpfer nach Berlin. Der kleine Airbus war ausgebucht bis unter das Dach plus zwei Standbys auf den Jumpseats in der Aft-Galley. Auf Grund der winterlichen Temperaturen stiegen die meisten Gäste mit mindestens zwei Handgepäckstücken nebst voluminöser Wintergarderobe ein. Nach knapp der Hälfte der Passagiere waren die Gepäckfächer so gut wie voll – und vor der Tür standen noch etwa einhundert weitere Mitreisende. Zwei türkise Rollenkoffer können wir direkt an der Tür abfangen, ein Label drankleben und runter in den Frachtraum laden lassen. Die dazugehörige Dame wirkte sehr erleichtert, im wahrsten Sinnes des Wortes – da frage ich mich doch, warum sie ihr Gepäck denn nicht gleich aufgegeben hat?
Kritisch wird es immer in Reihe eins, dort wo zu Start und Landung nichts auf dem Boden liegen darf, weil es zum Notausgangsbereich gehört. Vier von sechs Gästen saßen schon rechts und links, als ein älteres Ehepaar mit insgesamt fünf dicken Gepäckstücken, (ein Koffer, ein Rucksack, eine Art Arzttasche und zwei dicke Tüten), die Plätze 1 E und F beanspruchte. Wie haben sie das bloß beim Check In vorbeigeschmuggelt?
„Hier ist kein Platz mehr für unser Handgepäck!“, wurde uns nach einem kurzen Blick in die umliegenden Hatracks entrüstet entgegen gebracht. „Verstauen Sie das mal in ihrem Schrank!“
Wir bedauerten das Nichtvorhandensein eines Schrankes oder einer anderen Möglichkeit, die Taschen und Tüten in der Küche, hinter einem Trolley oder gar auf der Toilette unterzubringen, außer vielleicht in einem Gepäckfach weiter hinten im Flieger. Da unsere Gäste inzwischen mit ihrem ganzen Krempel in der Galley und im Gang das Boarden komplett zu Erliegen gebracht hatten, schnappte sich meine Kollegin den Koffer und suchte dafür einen Platz etwa in Reihe 10.
Die Dame nahm mit den opulenten Tüten ihren Sitz am Fenster ein, der Herr folgte der Kollegin mit der Arzttasche, in die ohne Probleme das Inventar eines halben OPs gepasst hätte.
Nun ist es bei Single-Aisle- Fliegern immer schwierig – man kommt zwar recht zügig nach hinten, aber gegen den Strom der immer noch einsteigenden Gäste natürlich schwer zurück. Hatte unseren Gast aber nicht im mindesten interessiert, er schob, knuffte und quetschte sich rücksichtslos wieder zurück zu Reihe eins, denn dort stand ja noch der Rucksack von ihm. Während meine Kollegin sich um weiteren Platz für Tüte Nummer eins der Ehefrau bemühte, kramte der Mann energisch im Gepäckfach über seinem Sitz herum, quetschte sorgsam gefaltete Oberbekleidung der anderen Gäste in die hinterste Ecke, knallte den Rucksack auf eine dort liegende Laptoptasche und versuchte mit Gewalt die Klappe zu schließen. Derweil rief es aus dem Cockpit, wann wir endlich fertig seien, der Rampagent zwängte sich mit den Papieren an mir vorbei und es standen immer noch zirka dreißig Gäste vor der Tür. Ein deadhead reisender Kapitänskollege in Reihe zwei verdrehte genervt die Augen und sah auf die Uhr. Tja, mit einem pünktlichen Abflug würde das heute nichts werden.
„Entschuldigung, aber das passt so nicht, Sie sehen ja, dass die Klappe nicht zu schließen ist. Wir können ihren Rucksack aber gerne nach unten laden …“
„Soweit kommt das noch! Das ist völlig indiskutabel!“ rief der Mann erzürnt und funkelte uns an. Es war ihm auch völlig egal, dass er schon wieder allen im Weg stand – er riss seinen Rucksack wieder aus dem Fach, zog zwei weitere Gepäckstücke von den Gästen auf 1 A und B heraus, schob sie mit dem Fuß in unsere Galley, stopfte den eigenen Rucksack hinein und knallte die Klappe zu.
„Sehen Sie: Es geht doch!“ rief er triumphierend. Nun platzte meiner Kollegin, die sich wirklich tiefenentspannt bereits um dutzende Gepäckstücke an diesem Morgen gekümmert hatte, der Kragen.
„Nein, so geht es nicht!“ erklärte sie freundlich, aber bestimmt. „Sie können doch nicht einfach die Sachen der anderen Gäste in unsere Küche schieben. Geben sie mir bitte den Rucksack, wir werden ihn ausladen lassen.“
„Das kommt überhaupt gar nicht in Frage! Da sind wichtige Dinge drin! Der bleibt bei mir!“
Der Rucksack wurde meiner Kollegin, die ihn schon aus dem Fach gefummelt hatte, aus der Hand gerissen und wieder verschwand der Gast nach hinten. Leider war dieser Versuch von wenig Erfolg gekrönt, es passte auch in den hinteren Reihen keine Briefmarke mehr in irgendeine Ritze. Inzwischen war der letzte Gast an Bord, die Papiere fertig und eigentlich Zeit, die Tür zu schließen. Der Gast kam wieder nach vorne, umklammerte den Rucksack, als wenn er eine Million Euro enthalten würde und weigerte sich zeternd ihn abzugeben. Die Ehefrau weigerte sich ebenfalls wortreich, Tüte Nummer zwei herzugeben. Meine Halsschlagader schwoll, so ein Chaos am frühen Morgen!
Um endlich vom Hof zu kommen, setzten wir die Herrschaften um in Reihe zwei. Dort konnten sie dann ihr kostbares Gepäck im Fußraum parken, auch wenn dies nun eine spezielle Falttechnik für die Beine erforderte. Netterweise tauschten die Gäste aus Reihe 2, auch sie schienen froh, dass das ganze Spektakel nun ein Ende hatte. Vor mir tobte also die Reise nach Jerusalem während ich schon mal mit der Begrüßungsansage anfing und unser Flieger in einem Affenzahn in Richtung Startbahn rollte. Als sich endlich alle sortiert hatten und saßen, schaute der Mann mit dem vielen Gepäck entrüstet auf die Uhr und bellte: „Schon wieder zu spät. Das ist ja mal typisch für diese Airline. Jedes Mal dasselbe!“ Was für ein charmanter Mitmensch.

Ich frage mich, wozu es diese kleinen Stahlkästen beim Check In gibt, in die das Handgepäck eigentlich hinein passen soll. Werden die überhaupt jemals benutzt? In Los Angeles habe ich das mal gesehen, allerdings wurden daran lediglich die Absperrbänder zum Boarden am Gate befestigt. Wohl nicht so ganz der Sinn der Sache. Genauso erstaunt bin ich über all die fetten Gepäckstücke, die die Kofferindustrie als „Kabinentauglich“ anpreist. Wo denn bitte? In der Economy doch sicher nicht? Ich kann auch die Abneigung der Passagiere gegen den Frachtraum nicht verstehen. Mir ist im meinem ganzen Fliegerleben erst ein einziger Koffer abhanden gekommen und auch der hat mich schlussendlich wiedergefunden. Warum tut man sich die Schlepperei überhaupt an? Weil die nette Stewardess ja doch immer ein Plätzchen für das Schätzchen findet? Ich reise nur noch mit einem Stapel Kofferlabel in der Handtasche und bin leider lange nicht mehr so geduldig wie meine Kollegin auf diesem Flug. Was freue ich mich auf den Sommer! Da fallen da fallen dann wenigstens die dicken Jacken weg …